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Die Rastafarians – Nach Babylon verschleppte Kinder Gottes

Dies ist fraglos ein Thema, an dem man sich rasend schnell die Finger verbrennen kann.  Und das aus ganz verschiedenen Gründen: ich bin selbst kein Rasta, habe nicht den Hintergrund von sufferation und tribulation, sympathisiere allerdings sehr stark mit dieser Gruppe Menschen. Womit die Frage aufkommt: geht das überhaupt? Kann man diese, ich nenne es mal „Lebensphilosophie“, die von Rastas völlig verinnerlicht wird, nur teilweise für sich annehmen? Meine Antwort ist ja. Wer sich etwas mit Rasta beschäftigt hat, weiß, daß eine Skala besteht, vom Fashion Rasta, der sich beim Friseur seine Dreads anfertigen läßt, bis zum spirituellen Idren, der vielleicht völlig unauffällig ohne Löwenmähne daherkommt. 

Womit ich beim zweiten Problem bin. Was beschreibe ich eigentlich? Die ganze Skala würde den Rahmen sprengen. Die Extreme? Schon eher, wobei ich den Friseurbesucher weglasse, denn das nächste Mal läßt er sich vielleicht schon nen Minipli machen und ich möchte keine Zeit an ihn verschwenden. 
 
Frage Nummer drei: Welche Perspektive benutze ich? Die babylonische, beschreibende, wissenschaftliche Sichtweise aus der sog. „Objektivität“, empirisch und mit der Literatur des nächsten Buches, in dem etwas „Neues“ steht, vielleicht schon überholt? Das geht nicht, Rasta läßt sich nicht berechnen, in Statistiken stecken, ausmessen oder bewerten. Mit mathematischer Logik wird man bei Rasta weiter im Dunklen tappen, Rasta ist Wissen! Benutze ich also die innere Perspektive? Ich fühle zwar, daß ich weiß, aber reicht die Menge des Wissens aus, um keinen Unsinn zu schreiben? Immerhin habe ich eine bestimmte Ebene erreicht, auf der ich mich Anderen mitteilen kann. Also werde ich es wagen, das Phänomen Rasta aus der Sicht zu beschreiben, wie ich es selbst sehe. 

Und hier die letzte Frage: Wo setze ich bei einem Thema an, das mir immens wichtig ist, das ich nicht in seiner Darstellung verzerren will und das so komplex ist, daß alle Wissenschaftsdisziplinen Babylons nicht ausreichen, um es in seiner Gesamtheit darzustellen? Das ist ein weiterer Punkt, der zeigt, daß man hier mit Objektivität nicht weiterkommt, es geht um MEIN Verständnis von Rasta. Ich betone direkt hier, am Anfang, daß der nächste Leser ein anderes Verständnis haben kann und wird. Das ist bei einer Lebensphilosophie nur legitim und normal. Mein Vorschlag: anstelle zu sagen, „ich habe Recht, Du hast Unrecht“, laßt uns zusammenkommen und unser Wissen gegenseitig ergänzen. 

Die Wurzeln: 
 
Rasta beginnt in Afrika, dem Mutterkontinent, dem Gelobten Land. Äthiopien ist die älteste christliche Nation dieses Planeten mit einer biblisch legitimierten Dynastie, die mit Haile Selassie (1974 von Sozialisten abgesetzt und 1975 verstorben) ihren letzten Kaiser (Negusa Nagast = König der Könige) hat.

 < Haile Selassie I

Es wird angenommen, daß der erste Mensch aus Afrika kam, Afrika hatte im fünften vorchristlichen Jahrtausend die ersten Zivilisationen, die Staaten betrieben Fernhandel, es gab Universitäten und es wurden Bauwerke errichtet, die uns heute in Erstaunen versetzen, wie sie damals wohl entstanden sind. 
 
Die ersten Berührungen mit anderen Kontinenten hatten Nordostafrikaner durch ihren Handel mit Griechenland. Es folgten Handelsbeziehungen mit Arabern entlang der ostafrikanischen Küste und entlang einer Ost-Westachse auf der Höhe der Südsahara. Dramatischer wurde es dann durch die Begegnung mit dem weißen Mann. Die Portugiesen begannen im 15. Jh. einen Seeweg nach Indien zu suchen und segelten entlang der westafrikanischen Küste nach Süden. 1488 erreichten sie das Kap der Guten Hoffnung und begannen, die ostafrikanische Küste, die zuvor arabische Sphäre war, zu erforschen und für sich zu erschließen.   

In den alten portugiesischen Reiseberichten kann man nachlesen, wie erstaunt die Seefahrer über die bestehenden afrikanischen Zivilisationen waren, die sie während ihrer Kontakte an der Küste entdeckten. Was sie sahen, stand dem europäischen Status Quo in nichts nach. Der innerafrikanische Handel florierte, es gab diplomatische Kontakte zwischen den bestehenden Königen, die i.d.R. Stadtstaaten regierten, der Kontinent besaß eine unglaubliche Dynamik und war nicht, wie man häufig nachliest, statisch, phlegmatisch. Es war nicht der wilde, dunkle Kontinent, wie er den Europäern gerne bis heute vermittelt wird. 
 
Mit den Portugiesen und anderen, ihnen folgenden europäischen Seemächten, begann der Handel mit Afrika. Im Austausch für afrikanische Materialien (Gold, Tierfelle, Elfenbein etc.) wurden von den Europäern Waffen, Glasperlen und andere Fertigprodukte geliefert. Hinzu kamen neue, aus Europa eingeschleppte Krankheiten und die Vermittlung von Wertesystemen, die den afrikanischen Kulturen fremd waren. Die entstehende Diplomatie hinterließ ihre Spuren. Europa handelte nach dem altrömischen Motto „divide et impera“ und begann die afrikanischen Kräfteverhältnisse in seinem Sinne zu beeinflußen. 

 < Segelschiff des 15. Jh.

All diese Faktoren hatten den langsamen Niedergang der afrikanischen Zivilisationen zufolge. Die schlimmsten Spuren hat jedoch der Handel mit dem perversesten „Produkt“ hinterlassen: die Sklaverei. Die Schätzungen über die Anzahl der Opfer des Menschenhandels liegen zwischen 20 und 100 Millionen. Dazu muß bemerkt werden, daß hier nur die in der Neuen Welt (Nord- und Südamerika und Karibik) angekommenen Menschen berücksichtigt wurden. Niemand weiß, wie viele zusätzliche Millionen Menschen beim innerafrikanischen Transport, in den Zwischenlagern an der westafrikanischen Küste und auf dem Seeweg umkamen. 
 
Die Sklaverei war allerdings, wie häufig angenommen, keine europäische Erfindung. Schon im Altertum, bspw. im alten Ägypten, wurden Menschen zu Gegenständen degradiert und gegen ihren Willen ausgebeutet. Das biblische Israel, Griechenland, das Römische Reich und die arabische Welt hatten Sklaven. Ein typisches Charakteristikum ist, daß selten Menschen des eigenen Volkes versklavt wurden, man bediente sich immer am Nachbarn. Über Afrika liest man, daß die innerafrikanische Sklaverei wohl noch relativ „human“ abgelaufen ist. Nicht selten wurde ein Sklave als Mitglied des Herrenhaushaltes gesehen und konnte sogar zum Familienmitglied aufsteigen, wenn er einheiratete und dadurch seine Freiheit erlangen. 


 

Der Europäer hat den Handel mit Menschen im transatlantischen Dreiecksverkehr zwischen Europa, Afrika und der Neuen Welt ab Beginn des 16. Jh. unter wirtschaftlichen Standpunkten perfektioniert und möglichst profitabel gestaltet. Der Handel mit Sklaven, Rohstoffen und Fertigprodukten diente zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaft. Ab 1505 wurden die ersten Sklaven aus Afrika in spanische Kolonien verschifft.

1494 wurde Jamaika von Christoph Columbus während seines Irrwegs auf der Suche nach dem indischen Subkontinent „entdeckt“, 1509 wurde die Insel spanische Kolonie. Die Ureinwohner, die Arawak Indianer sind Jahrhunderte früher aus Südamerika eingewandert und müssen eigentlich als Entdecker genannt werden. Den Kontakt mit Europa haben sie nicht lange überlebt: Krankheiten, gegen die sie keine Abwehrkräfte hatten, Mangelernährung und die brutale Kolonialpolitik forderten schnell und massenhaft Opfer. 

Im 17. Jh. wurde die Insel von den Briten erobert. In der Folge kamen  zahlreiche Siedler und die Plantagenwirtschaft entwickelte sich rasant. Damit stieg der Bedarf an Menschen, die auf den Plantagen schuften mußten. Jamaika entwickelte sich zu einem weltweit bedeutenden Zentrum für den Sklavenhandel, wobei bemerkt werden muß, daß auf der Insel selbst wohl nur der „Ausschuß“, die meuternden, aufmüpfigen und widerspenstigen Menschen verkauft wurden. 1692 kam ein göttliches Zeichen: Port Royal, der größte Sklavenhandelsort der Insel,  mit dem Ruf, der „weltweit übelste Ort zu sein“, wurde innerhalb von Minuten von einem Erdbeben zerstört und nie wieder aufgebaut. Infolgedessen entstand einige Jahre später die heutige Hauptstadt Kingston. 
 
Im frühen 18. Jh. begannen der erste organisierte Widerstand gegen die Sklaverei. Eine, nach einigen Quellen aus Äthiopien stämmige Gruppe von Menschen lehnte sich gegen ihre Herren auf und lief von der Plantage weg. Sie flohen in die Berge der Insel und gründeten dort eigene Gemeinschaften, die sich am afrikanischen Erbe orientierten. 

Die unabhängigen Maroons entstanden und ihre Zahl wuchs in der Folgezeit stark an. Sie lieferten sich immer wieder Schlachten mit der britischen Kolonialmacht, wobei sie so erfolgreich waren, daß ein Friedensvertrag ausgehandelt wurde, der den Maroons teilweise Autonomie zubilligte. Im Gegenzug willigten sie ein, in Zukunft entflohene Sklaven auszuliefern. 

Am 1.8.1838 wurde die Sklaverei offiziell abgeschafft, jedoch war die Struktur der Wirtschaft so angelegt, daß sich an den Lebensumständen der ehemaligen Sklaven nichts änderte. Auf der obersten Ebene hatte man die Plantagenbesitzer und die Vertreter der Kolonialregierung, es folgten die Mulatten, Mischprodukte aus schwarz und weiß, die oft genug zur Unterdrückung der Massen instrumentalisiert wurden und ganz unten standen die afrikastämmigen Menschen, mittellos, entwurzelt und ohne Perspektive. Viele von ihnen ließen sich im bergigen Landesinneren der Insel nieder und lebten ein einfaches Leben als Subsistenzbauern. 

Die rezente Geschichte:
 
Das 20. Jahrhundert brachte Persönlichkeiten hervor, die sich für die Bürgerrechte aller unterdrückten Menschen einsetzten. Für Jamaika ist hierbei in erster Linie Marcus Mosiah Garvey zu nennen, der Ende des 19. Jh. auf der Insel geboren wurde. Er war ein sehr intelligenter Mann, der die Wichtigkeit von Bildung und Organisationswesen für die Verbesserung der Lebensumstände seiner schwarzen Leidensgenossen erkannte. Garvey gründete 1914 die Universal Negro Improvement Association (UNIA) und in Folge weitere Organisationen und Unternehmen, die den Lebensstandard der Schwarzen weltweit verbessern helfen sollten. UNIA hatte zu Blütezeiten mehrere Millionen Mitglieder, die hauptsächlich aus den USA stammten, wohin er seinen Schaffensschwerpunkt verlegt hatte. 

Garveys erklärtes Ziel war es, den Mutterkontinent Afrika zu der Blüte zurückzuführen, die er hatte, bevor der weiße Mann sein Zerstörungswerk begann. Sein Werkzeug sah er in der Zurückführung, Repatriierung von schwarzen Menschen aus der neuen Welt, die dort mit gebündeltem Wissen eine neue Gesellschaft ins Leben rufen sollten. 

Eigens dafür gründete er eine Schiffahrtsgesellschaft, die Black Star Line, um die Menschen in ihre ursprüngliche Heimat zurück zu bringen. Diese Idee scheiterte am Widerstand Liberias, wo Garvey Land bereitgestellt bekommen wollte und an einer scheinbaren Verschwörung gegen seine Gesellschaft auf wirtschaftlicher Ebene. Garvey wurde in den USA wegen Veruntreuung von Geldern verurteilt, ins Gefängnis gesperrt und danach in seine Heimat Jamaika deportiert. 

Es  gelang ihm daraufhin nicht mehr, die UNIA zu ihrer alten Größe zurück zu bringen. Allerdings hat er durch sein lebenslanges Schaffen viele Folgeorganisationen initiiert, die in den schwarzen, nationalen Unabhängigkeitsbewegungen der späten Fünfziger und frühen Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mündeten. 

Wichtiger für den Kontext dieses Beitrages ist allerdings der 1927 geäußerte Satz Garveys „Look to Africa, where a black king shall be crowned, for the day of deliverance is near.“
Als dann am 2.4.1930 Ras Tafari zum äthiopischen Kaiser (Negusa Nagast) erklärt und sieben Monate später in einer prunkvollen Zeremonie als Haile Selassie I (Macht der Dreifaltigkeit) mit göttlicher Abstammung und divinem Titel gekrönt wurde, galten Garveys Worte auf Jamaika als Prophezeiung. 
 
Wenige Zeit später begannen mehrere Prediger der für Jamaika typischen synkretistischen Kirchen unabhängig voneinander Haile Selassie als den zurückgekehrten Messias zu sehen. Sie interpretierten die folgenden Passagen aus der Offenbarung des Johannes: 

Offb. 5 2,5: Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, um das Buch und seine sieben Siegel zu öffnen.

Offb. 19 19-20: Und ich sah das Tier und die Könige der Erde und ihre Heere versammelt, um mit dem, der auf dem Pferd saß, und mit seinem Heer Krieg zu führen Und es wurde ergriffen das Tier und der falsche Prophet - der mit ihm war und die Zeichen vor ihm tat, durch die er die verführte, die das Malzeichen des Tieres annahmen und sein Bild anbeteten -, lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt.

Diese alten Worte, die im ersten nachchristlichen Jahrhundert als letztes Buch der Bibel niedergeschrieben wurden, sind erstaunlich zutreffend. Haile Selassie ist ein Herrscher der Solomoniden Dynastie, die vom israelitischen König David I entstammt. In seinem kompletten Herrschertitel trägt er den Zusatz „Löwe aus dem Stamm Juda“. Das Tier und die Könige der Erde sind die Politiker, die sich mit dem Bösen vereint haben und gegen Äthiopien vorgingen. Tatsächlich hat Italien zwei Kriege gegen Äthiopien geführt, den ersten unter Menelik II verloren und beim zweiten, der zur zeitweisen Exilierung von Selassie führte, nur Teilerfolge erzielt. 
 
Zur Zeit der Interpretation der Offenbarungspassagen rivialisierten gerade England und Italien um das ostafrikanische Land und versuchten, ihre Interessen aufzuteilen. Gerade Italien, als römisch katholisches Land, das aus Sicht der jamaikanischen Prediger vom wahren Glauben abgefallen war, ist als das Tier anzusehen. Der Feuersee mit Schwefel dürfte ein Symbol für die zerstörerischen Waffen sein, die bei den Konflikten zum Einsatz kam. Italien hat Gebiete in Äthiopien mit Senfgas bombardiert.

Die herausragendste und einflußreichste Persönlichkeit unter den Priestern war ein Mann mit dem Namen Leonard Percival Howell. In Trinityville, Parish of St. Thomas, Jamaika hielt er im Jahre 1933 eine Rede, daß nicht der britische König, sondern Haile Selassie als König der Schwarzen der Insel anzusehen sei. Howell wurde 1934 von der Kolonialverwaltung wegen Aufruhrs gegen die englische Krone und wegen Betruges (er verteilte Bilder mit Selassie, die nach seiner Erklärung Reisepässe für die Rückkehr nach Äthiopien sind) zu einer zweijährigen Gfängnisstrafe verurteilt. 

Howells Aufruf an die Jamaikaner, sich ihrer kulturellen Wurzeln zu besinnen, nach Afrika zurückzukehren und dort eine neue Nation zu bauen, wurde von der Kolonialmacht als Bedrohung gesehen. Nach seiner Freilassung aus der Haft gründete er die Äthiopsche Heilsgesellschaft. 
 
1940 vollzog der Prediger den fundamentalen Schritt zur Gründung der ersten Rastagemeinde: in der Nähe von Spanishtown kaufte er eine alte Farm in den Bergen und gründete dort Pinnacle, einen Ort, an dem im Laufe der kommenden Zeit mehrere Hundert Rastas zusammenlebten. Dort wurden die ersten Grundzüge der Rastaphilosophie entwickelt. Im Juli 1941 wurde Howell erneut verhaftet, er soll seine Nachbarn bedroht haben und seine Gemeinde wurde mit dem Charles Manson Kult verglichen. Es folgten erneut zwei Jahre Haft. 

Dann kamen ungefähr eineinhalb Jahrzehnte Ruhe vor den britischen Behörden, Zeit genug, um seinen Anhängern ein Selbstbewußtsein zu geben und die begonnene Philosophie der Rastafarians zu festigen. 1954 (in anderen Quellen 1958) wurde Pinnacle erneut von der Polizei überfallen und es gab Massenverhaftungen, die das Ende der Kommune bedeuteten. Die meisten von Howells Anhängern zogen nach Kingston, er selbst kam ins Irrenhaus Jamaikas, ein unwürdiges Ende für einen der größten Vordenker der Rastafarians. 

Vier Jahre später veranstaltete Prince Edward Emmanuel eine dreiwöchige Veranstaltung in Back o Wall, einer Slumgegend in Kingston, die von vielen Rastas bewohnt wurde. Ungefähr 3000 Leute haben an der Konvention teilgenommen und sich auch von brutaler Polizeigewalt nicht vertreiben lassen. Die Bobo Dreads, eine Untergruppe der Rastafarians, mit dem signifikanten Turban, beruft sich auf Emmanuel als ihren Propheten. 

Ein weiterer Prediger, Claudius Henry, verteilte 1959 Tausende von Karten, die von den Rastas fälschlicherweise als Passierschein nach Äthiopien gesehen wurden. Viele verkauften ihr weniges Hab und Gut und versammelten sich am 5.10.59, dem großen Tag vor Henrys Kirche, aber keines der versprochenen Schiffe für die Passage ins Gelobte Land, und auch der Priester tauchten nicht auf. Henry wurde 1960 verhaftet, nachdem man in seiner Kirche Waffen gefunden hatte. In einer lebhaften Gerichtsverhandlung sind er und viele seiner Komplizen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Es heißt, daß Ende des gleichen Jahres Henrys Sohn in Begleitung einiger Schwarzer aus den USA nach Jamaika zurückgekehrt ist und in den bergen ein Guerillacamp aufgebaut hat. Sie wurden gefangengenommen und viele von ihnen erhielten die Todesstrafe. 
 
Im Laufe von drei Jahrzehnten hatten sich die der Rastafarians von einer beäugten Kommune in den Bergen zu einer inselweiten Bewegung mit urbanen Gemeinschaften und dörflichen Vertretungen gewandelt. Die ständig steigende Beliebtheit dieser schwarzen Interpretation der biblischen Geschichte und historischen Ereignisse resultierte in einem stetigen Zulauf zur Bewegung der Rastafarians, sie wurde zu einer Lebensphilosophie, die Wurzeln, Würde, Selbstbewußtsein und Kraft vermittelte. 

Von außen wurden die Rastas beäugt, Argwohn und Angst dominierten, sobald es in der Gesellschaft der Insel um die Dreads ging, die in ihrer Mehrheit friedlich leben wollten. Einige Rasta Elders forderten eine Studie, um ihr negatives Image in der Gesellschaft zu revidieren und Informationen bereitzustellen, daß es sich um eine Gruppe handelt, die mit friedlichen Mitteln versucht, ihre Ziele zu erreichen. 

Drei Wissenschaftler der Universität in Kingston haben daraufhin in einer zweiwöchigen Feldstudie Informationen gesammelt, die in einem vierzigseitigen Bericht mündete. Dort kann man hauptsächlich Positives nachlesen und es werden ein paar Empfehlungen ausgesprochen, wie man den Dreads helfen könnte. Es folgte die Reise einer Delegation nach Äthiopien und in vier andere afrikanische Länder, an der drei Rastafarian Elders teilnahmen. Es sollte ausgelotet werden, ob man Jamaikanern tatsächlich die Möglichkeit der Heimkehr auf den Kontinent ihrer Vorfahren anbieten könne. 
 
Im April 1966 kam Haile Selassie nach Jamaika. Für die Rastas der Insel war es das größte Ereignis, denn der lebendige Gott kam zu ihnen. Zehntausende Jamaikaner und wahrscheinlich jeder Rasta waren auf den Beinen, um den Negusa Nagast zu begrüßen. Liest man Augenzeugenberichte über dieses Ereignis, wird einem die Bedeutung Selassies für die Dreads auf der Stelle klar: als sein Flugzeug landete, konnte man Donner hören, ein Regenbogen war zu sehen, seine Hände versprühten Blitze, er stellte spirituelle und göttliche Kontakte mit der Bevölkerung her. 

Rede Haile Selassies vor Jamaikas Parlament

 
Faktum ist, daß die Rollbahn des Palisadoes Flughafens von Kingston bei der Landung der kaiserlichen Maschine voller Menschen war, die jamaikanischen Sicherheitskräfte konnten den Druck der Massen nicht halten. Selassie zögerte circa eine Stunde seinen Flieger zu verlassen, bevor er die Anweisung gab, die Kabinentür zu öffnen. Es heißt, daß er von dem Empfang, den das jamaikanische Volk ihm bereitet hat, überwältigt war. 

 < Die Menschemassen auf dem Rollfeld bei Selassies Landung

1969 eröffnete die Äthiopisch Orthodoxe Kirche, die Kirche des Negusa Nagast, eine Mission auf der Insel. Viele Rastafarians ließen sich taufen und begannen Ge’ez, die liturgische Sprache Äthiopiens, bzw. Amharisch, die moderne, daraus hervor gegangene Variante der Sprache zu lernen. 
 
In den Siebziger Jahren begann Bob Marley mit seiner Gruppe, den Wailers, über den Reggae, die Ideen der Rastafarians mit seinen Songs in die ganze Welt zu tragen. Viele Musiker dieser Zeit begannen über das Vehikel Musik ihre Message von Love and Peace, den spirituellen Gedanken der Dreads und ihre politischen Forderungen nach einer Heimführung nach Afrika zu formulieren. Dadurch wurde erreicht, daß diese vorher rein schwarze Bewegung einem weißen Publikum nahegebracht wurde und immer mehr Menschen anderer Hautfarben begannen, sich mit den Gedanken der jamaikanischen Rastafarians zu beschäftigen. 

Man könnte annehmen, daß die Absetzung Haile Selassies 1974 und sein Tod ein Jahr später, am 27.8.1975 eine Krise unter den Leuten hervorrufen würde. Dem war nicht so! 

Die Nachricht über den Tod des Negusa Nagast wurde kommentiert, daß die Kolonialphilosophie behaupten würde, er sei tot. Die Rastafarians wüßten, daß JAH in seiner Manifestation als Haile Selassie, Seine Imperiale Majestät (His Imperial Majesty, H.I.M.) in seiner Macht für immer bestehen würde. Gott könne und würde niemals sterben. 

Am 4.10.1975 spielte Bob Marley in Kingston vor einem mehrere tausend Menschen umfassenden Publikum und lieferte eine gesungene Erklärung zu dem Ereignis: 
 
„JAH Live, children. 
The truth is an offence, but not a sin.
Is he who laughs last, is he who win. 
Is a foolish dog barks at a flying bird.
One sheep must learn, to respect the shepherd.
JAH Live, children.
Fools say in their hearts, “Rasta, your God is dead”.
But I’n’I know JAH JAH dread, it shall be dreader dread. 
JAH Live, children.
Let JAH arise, now that the enemies are scattered.
Let JAH arise, the enemies, the enemies are scattered.
JAH Live, children”

Das physische Dahinscheiden des Negusa Nagast ist nur ein weiterer Schritt für die Rastas.  Im folgenden Abschnitt ist eine Zusammenfassung ihrer Sichtweise über Selassies Tod: 

JAH kommt in 72 verschiedenen Erscheinungsformen. Um seine Mission der Befreiung der Menschheit zu vollenden, ist ein physischer Körper nicht mehr nötig. Denn JAH hat seine geheime Wohnung im Herzen des lebenden Menschen. Somit ist Er bei allen Aktivitäten des aufrechten Individuums präsent. JAH, als der Schöpfer lebt für immer und ewig, wie die Sonne, der Mond und die Sterne, die Er geschaffen hat. Die Rastas sind der gepflanzte Baum, der seine Früchte hervorbringt, wenn die Zeit reif ist. Wenn JAH tatsächlich gegangen wäre, gäbe es keine Sonne, Mond und Sterne mehr, um den Menschen den Weg zu weisen. Die gleichen Leute, die Jesus gekreuzigt haben, sagen 2000 Jahre später, in der Zeit, die in der Bibel als die Rückkehr des Messias genannt wird, daß JAH tot ist. Sie sollen ihr Werk tun. Sie sollen an den heiligen Geist glauben und in den Himmel starren, wie vor 2000 Jahren. JAH sagt, man soll nirgendwo nach Ihm schauen, sondern in sich selbst suchen. Wenn der Conquering Lion of the tribe of Juda, the Elect of God, the Light of this world sterben könnte, wer würde dann diese Welt regieren? Und wer würde dann diesen Herrscher regieren? Diese Welt würde nicht mehr existieren. Es wird behauptet, der König ist tot, aber niemand kann sagen, wo er begraben ist, wie er begraben wurde und wann es stattgefunden hat (er ist vom sozialistischen Dergue Regime Äthiopiens in aller Heimlichkeit bestattet worden), aber sie behaupten, JAH ist tot. Es gibt niemanden, der auf einem 3000 Jahre alten Thron sitzt, der drei Jahrtausende Tradition vereint. Der weiße Mann redet vom Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. JAH hat keine Begleiter, wer sind die anderen beiden? JAH nimmt das Herz des Menschen, welches Sein Thron ist. Die Menschen, die sagen, daß Selassie tot ist, sind nicht erleuchtet. Rastas glauben nicht. Sie WISSEN, daß Haile Selassie der wiedergekehrte Messias ist. Nur Er ist es wert, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen. 

Das Rastakonzept wird weiter unten noch ausführlicher behandelt. 

JAH Music:
 
Der Tod von Bob Marley, der 1981 mit nur 36 Jahren sehr jung an Krebs starb, hat der internationalen Verbreitung von Reggae und damit der Rastamessage erst mal einen Rückschlag verpaßt. Zwar gab es andere Bands, die sich um die Verbreitung der Dreadphilosophie bemühten und es entstanden sogar weiße Reggaebands. Die Entwicklung ging jedoch weg von spirituellem Sound hin zu tanzbarer Unterhaltungsmusik mit Texten, die eher etwas über den rauen Lebensstil in den jamaikanischen Gettos, über sexuelle Vorlieben oder über das Bacardi Feeling an karibischen Stränden erzählten. 

Das Wiederaufleben von conscious Music, das Roots Revival, Anfang der Neunziger Jahre des 20. Jh., hat man vor allem den Bands zu verdanken, die die „Slacknesszeiten“ der Achtziger Jahre überlebt hatten und ihrer Message treu geblieben sind. Diese Musiker und Bob Marley haben eine ganze Generation neuer Musiker inspiriert, sich wieder mehr um die Urmessages der Rastafarians zu kümmern und sie in eine durch Globalisierung und Satellitenkommunikation zusammenschrumpfende Welt zu tragen. 

Leider muß man gleichzeitig festhalten, daß außerhalb von Jamaika nur wenige sich mit der Message der Musik auseinandersetzen. Vielerorts ist Reggae zu einem tanzbaren Sound verkommen, mit dem man stundenweise in der Dancehall Spaß haben kann. Und die Sänger, die sich heute in verschiedenen Ländern mit Reggae befassen, wollen von mit ursprünglichen, spirituellen Bedeutung des Reggae meist wenig zu tun haben. 

Trotzdem wird die neue Reggaemusik einige Zuhörer zu den Wurzeln zurückführen und eins ist schon erreicht: JAH Music ist auf dem ganzen Planeten bekannt, sie ist wahrhaft outernational geworden. Denn Reggae befällt das Stammhirn, wo die Gefühle erzeugt werden. Bevor das restliche Hirn mithalten kann, hypnotisiert der treibende Rhythmus den Zuhörer und befreit sein Ich. Reggae ist der Ausdruck von zerschundenen Seelen der in Babylons Gefangenschaft lebenden Afrikaner. 

Die israelitische Befreiung der unterdrückten Afrikastämmigen: 

Wir haben gelesen, daß Marcus Garvey die Krönung von Ras Tafari vorhergesehen und Leute, wie Leonard Howell Selassies Göttlichkeit mithilfe der Bibel erklärt haben. In den folgenden Abschnitten möchte ich den Versuch starten, die Vorstellungen der Rastafarians zu beschreiben. Schon in der Einleitung habe ich bemerkt, daß ich es für sehr schwierig halte, diesem Anspruch gerecht zu werden. 
 
Haile Selassie ist der wiedergekehrte Messias. Hierbei ist es wichtig zu wissen, daß Rastas NICHT an die Dreifaltigkeit (Vater, Sohn, Heiliger Geist) glauben, sondern die göttliche Kraft in einer Person vereint sehen. Frappierenderweise bedeutet „Haile Selassie“ I der Name, den Ras Tafari bei seiner Krönung zum Negusa Nagast 1930 angenommen hat übersetzt „die Macht der Dreifaltigkeit“. Aus Sicht der Dreads steht in der Bibel (Offenbarung 5 und 19 – 20), daß Haile Selassie alle Voraussetzungen erfüllt, die Inkarnation von JAH zu sein. Hinzu kommt seine Abstammung von König David I von Israel. Selassie ist die 225. Wiedergeburt von König Salomo, der mit der Königin von Saba (Äthiopien) einen Sohn hatte und die Wurzel der solomonidischen Dynastie des Landes war. „Christos“ bedeutet in der griechischen Übersetzung „Erlöser“, Selassie ist der wiedergeborene Erlöser. Auf ihn trifft zu, was bei den Philistern 2, Römern 14, Jesus 45 und im Psalm 97 steht: Ihm muß sich jedes Knie beugen. 

Viele Rastas glauben, daß die Afrikaner von einem verlorenen Stamm Israels abstammen. In Jeremia 12 ist geschrieben, daß JAH das Haus Juda aus Israel herausreißen wird und es wieder in die Heimat zurückführen wird. Die Schwarzen Jamaikas haben schon immer eine Verbindung zu den versklavten Hebräern der Geschichte gespürt.
 
Wie müssen  solche Zeichen auf Menschen wirken, die Jahrhunderte, zuerst durch Sklaverei und dann durch Kolonialismus, unterdrückt wurden, die ihrer Heimat entrissen wurden und ein wurzelloses Volk sind, denen gesagt wird, sie seien nichts wert und müßten einem weißen König, einer weißen Königin folgen?

Dann wird ein schwarzer, afrikanischer Mann mit einem uralten, divinen Stammbaum gekrönt, alle Augen sind nach Afrika gerichtet, viele Nationen schicken ihm Abgesandte und huldigen ihm. Sein Name vereint drei in der weißen Kirche getrennte Funktionen der Göttlichkeit und seine Krönung wurde von Garvey vorhergesagt. Das mächtigste Wesen dieses Planeten ist ein Afrikaner. Das Alte Testament wird studiert und unter den neuen Ereignissen völlig anders wahrgenommen. Der weiße Mann hat die Bibel gefälscht, hat Passagen ausgelassen, um die Abstammung der Schwarzen von den Israeliten zu verheimlichen. Tatsächlich sind einige Schriften, die man im Kebra Nagast (Die Herrlichkeit der Könige), einer uralten Chronik Äthiopiens, finden kann, nicht in die Bibel gelangt. 

Warum sollten alle Heiligen weiß sein? Warum sollte die Gotteskraft geteilt sein? Warum soll man in den Himmel schauen (skygazing), wenn Gott offensichtlich wieder unter den Menschen wandelt? Bibelpassagen, die auf Haile Selassie als den Erwarteten zutreffen, gibt es zuhauf. Eine schwarze Sicht des bisher weißen Missionierungsinstrumentes, wird geboren. Der geschichtslose schwarze Jamaikaner hat plötzlich Wurzeln, die auf die divinen Könige Israels deuten und 3000 Jahre zurückgehen. Selbstbewußtsein!

Existentielle Philosophie:

Die Bibel hat es enthüllt: der Afrikaner ist der wahrhafte Herrscher der Erde. Denjenigen, die diese Doktrin auf den Straßen und in den Kirchen Jamaikas vertreten, wird gerne zugehört, sie bilden ein Gefolge und fangen an, sich zu Gemeinschaften zu organisieren. Sie nennen sich Rastafarians und erhalten eine heilige Verwandtschaft mit Gott über Adam, Salomo und Haile Selassie mit einer spirituellen Geburt durch die Anerkennung von JAH in der Personifizierung von Selassie als biblischen König Israels. Sie brauchen keine Kirchen und Gottesdienste, um Gottes Wort zu vernehmen oder Ihm zu huldigen, denn im Ersten Buch der Könige steht, daß JAH im Herzen der Menschen wohnt. Gottes Handeln findet im Menschen statt und der Ort jederart Veränderung liegt im Herzen des Menschen. 
 
Um Ihm näher zu sein, wird das Heilige Kraut, Ganja, Marihuana geraucht, wie es im Psalm 104, 14 geschrieben steht. Ganja führt zu Higher I-tes, zu einer höheren Bewußtseinsebene. So stößt das Individuum zu JAH in seinem Herzen vor und man erkennt das immer-schon-da-Gewesene. Man kann den Menschen nicht ändern. Aber der Mensch kann sich selbst durch den Gebrauch von Ganja ändern. Wenn man dadurch göttlicher wird, dann geht man dadurch mit den Mitmenschen um, als wäre man JAH. Wenn viele Individuen diesen Weg gehen, dann schaffen sie gemeinsam einen Zustand, der JAH näher ist. Ganja ist „the healing of the nation“, die Heilkraft, die alle Übel auf der Welt beseitigen kann. 

Am Anfang war das Wort. JAHs Wort hat alles geschaffen. Word, Sound und Power sind die Waffen eines Rastafarians. Hat man Higher I-tes erreicht, dann ist der Ausdruck, das Wort eine mächtige Waffe. Und das besonders bei Menschen, die sagen, daß sie nicht glauben, sondern wissen. 

Auf den Grounations, den spirituellen Zusammenkünften der Rastas, wird dem Wort Klang verliehen: Nyahbinghi. Diese Musik geht zurück auf die in der neuen Welt verschmolzenen afrikanischen Kulturen, auf Burro und Revivalism. Es sind Gesänge, meist Bibelrezitationen, die von Trommeln begleitet werden und nacjh einem festen Muster ablaufen. Es gibt die Fundeh, sie spielt den Grundrhythmus, die Lifeline, die Bassdrum, die Basis, die mit ihrer spirituellen Bedeutung – death to evil forces – die von der Fundeh generierte Lifeline beschützt und den Repeater, auf dem die Melodielinie gespielt wird, die einen Lebensweg erzeugt. Eine Grounation befreit die Sinne, hilft das eigene Selbst zu erkennen. Befreiung: Beat down opression. Death to all white and black opressors. Live if you want to Live. Power!

Für das System der Unterdrückung, die Unterdrücker der Schwarzen und ihre Herkunft gibt es ein Wort: Babylon. Die Bedeutung des Wortes geht auf die historische Stadt zurück. Babylon bedeutet auf babylonisch Gottespforte, auf hebräisch Verwirrung. Es war eine der wichtigsten Städte der Antike, circa 90 Kilometer südlich von Bagdad im Irak gelegen. Babylon war im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. die Hauptstadt von Babylonien. Die babylonische Sprache war als Sprache der Wissenschaft im Altertum lange Zeit von Bedeutung. 
 
In Genesis 11, 1-9 kann man nachlesen, wie die Bewohner der Stadt bei Gott in Ungnade gefallen sind: Ein Turm, wurde auf der Ebene im Land Sinear in Babylonien errichtet. Der Turm sollte bis in den Himmel reichen, doch Gott war über diese Anmaßung erzürnt und unterbrach den Bau, indem er eine Sprachverwirrung bewirkte. Daraufhin verstreuten sich die Menschen, die nun verschiedene Sprachen redeten, über die ganze Erde. 

Eine weitere Geschichte rankt sich um den babylonischen König Nebukadnezar II. Im Jahre 597 v. Chr. griff er Israel das erste Mal an, eroberte Jerusalem und verschleppte zahlreiche Juden in babylonische Gefangenschaft. 588/87 v. Chr. zerstörte er Jerusalem nach einem Aufstand gegen ihn und verschleppte die restlichen Juden ins babylonische Exil, das bis 538 v. Chr. ging. 

In der Offenbarung des Johannes ist Babylon das Symbol für Unzucht, die Mutter der Huren und der Greuel, die Behausung der Dämonen und das Gefängnis der unreinen Geister. 

Wenn man zusammenfaßt, ist das historische Babylon ein Symbol für die Geburtsstätte einer auf Theorie und Nichtglauben basierenden Wissenschaft, der Arroganz und Anmaßung, der Verwirrung, des Unverständnisses, der Gewalt, Unterdrückung und Entwurzelung und die Heimat einer verkommenen Gesellschaft. Wenn man die Zustände in der heute bestehenden „westlichen Zivilisation“ analysiert, muß man feststellen, daß sich über die knapp 3000 Jahre sehr wenig daran geändert hat. 

Babylon beschreibt alles, was einen Rastafarian davon abhält, seinen Lebensstil zu leben, die Menschen, die ihn davon abhalten – bspw. die jamaikanische Polizei – und die Welt außerhalb des Mutterkontinentes Afrika, von dem ihre Vorfahren geraubt wurden. Symbole Babylons sind der Vatikan mit dem Pabst, der das Mal des Teufels (die Zahl 666) trägt, die Königin von England (the bitch), der US-Dollar stellvertretend für das ausbeuterische Geldsystem des Kapitalismus, die empirische Wissenschaft mit ihrem System der letzten Erkenntnis, die morgen schon wieder überholt ist, den gottlosen Produkten (Gentechnik, Klonen, Atomspaltung etc.) der Technologie, die Anwendung von Waffen in Konflikten, die mit Gewalt und nicht durch die Überzeugungskraft des Wortes ausgetragen werden und vieles mehr. 

Babylon hat eine schwache Stimme, es besitzt nicht die Kraft des Wortes, es produziert eine Kakophonie ohne Sinn. Das Blabla der Politiker führt zu nichts, als zu Kriegen und zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Wissenschaft widerspricht sich permanent gegenseitig. Die oberflächliche Kultur besitzt einen schalen Unterhaltungswert des Scheinbaren. Seine Bevölkerung besteht aus unbewußt lebenden, verfluchten Individuen ohne Erbe, Identität oder Zukunft. Die Menschen leben wie Vieh, das irgendeinen wirtschaftlichen Zweck erfüllen soll. Sie fröhnen dem Ego, dem Intellekt, haben kein Gefühl für Gemeinschaft. 

JAH wohnt jedoch im Herzen jedes Menschen, auch in denen der Babylonier. Nur daß diese Ihn in ihrer Oberflächlichkeit, in ihrem Egodenken, in ihrer Existenz des Hörensagens, in ihrer technologischen, auf Erfahrung beruhenden Lebensweise nicht erkennen. Sie können die notwendigen Higher I-tes nicht erreichen, so daß die göttliche Kraft in ihnen nicht aufblüht. Die Babylonier kommen mit ihrer empirischen Perspektive nicht weiter und existieren als Untote in ihrer Ignoranz. Wer die Kraft von JAH spürt, überwindet die Maschinerie Babylons durch die macht der urprünglichen Schöpfungskraft. 

Afrika Inna I:
 
Trotz der Verschleppung und der folgenden Jahrhunderte der Sklaverei, trotz systematischer Gehirnwäsche, Degradierung, Missionierung und Europäisierung, haben es die Rastas Jamaikas geschafft, Teile ihrer afrikanischen Kultur, des Denkkonzeptes, der Sprache, der Religion, der Bräuche und Sitten, bis heute am Leben zu halten. Ohne Afrika in ihnen wären die meisten Menschen wohl zu Zombies geworden, aber sie haben es geschafft, nach vier Jahrhunderten aus einer zerschundenen Seele eine Bewegung zu schaffen, die ohne jeden Missionseifer tagtäglich und weltweit neue Anhänger findet. 

Der Grund dafür ist ihre positive Denkweise. Es ist eine Energie, die aus ursächlicher Wirksamkeit und kreativer Lebenskraft besteht und von den afrikanischen Ahnen und Göttern stammt. Ihre Kraft kommt aus dem Erbe der Sklaverei und aus den Lebensumständen und Konflikten des Jetzt. Man liest die verschiedensten Bezeichnungen für diese Energie: Seele, Ka, Lebenskraft, Soul Force, Yin und Jang.... Sie hält Körper und Geist im gesunden Gleichgewicht, sie hält die üble Energie fern, sie läßt das Individuum Gutes tun. 

Diese Energie hat die Afrikaner die Greuel der Sklaverei überleben lassen. Sie läßt die Rastas das harte Leben in den Gettos Jamaikas mit einem Lächeln ertragen. Sie ermöglicht das Erkennen von Zwangslagen und gibt die Kraft, daraus zu entkommen. Sie verwandelt negative Schwingung in positive Vibrationen, Traurigkeit in Freude, Weinen in Lachen, Niederlage in Sieg. Sie liefert die Geduld das Leiden zu ertragen und die Hoffnung in der Aussichtslosigkeit und Enttäuschung. Ihre Ausdrucksformen, Wandlungen und Kombinationen sind so unendlich, wie die menschlichen Gefühle. Diese Energie entsteht nicht im Kopf, sie kommt aus dem Bauch, sie ist irrational, nicht faßbar oder reproduzierbar, sie ist mit Logik nicht zu beschreiben, sondern nur zu erfühlen – entweder man hat sie, oder man wird es nicht verstehen. 

Afrika hat auf allen Ebenen überlebt, in der Sprache, in der Nahrung, in der Musik und im Lebenskonzept. Was zählt, ist die Gemeinschaft, der Einzelne zählt erst etwas in der Gemeinsamkeit mit Anderen. Das manifestiert sich im Patois, dem Englischdialekt Jamaikas und dem Sprachkonzept der Rastas mannigfaltig. Nicht nur direkt aus Afrika stammende Wörter, wie njam für Essen haben die Jahrhunderte überlebt. Die Sprache wird positiviert, so wird dedication, Widmung zu livication, sie wird entzerrt, so wird oppressor, Unterdrücker zu downpressor, oder gun, Waffe zu dun (down). Sie wird sozialisiert, so ist das isolierte Ich durch das Objektivpronomen me bezeichnet. Ich, als Subjekt kommt erst im Kontakt zu Weiteren, als I’n’I, wir zur Bedeutung. Das I durchzieht die gesamte Sprache, unity, Einheit, wird zu I-nity, ever, immer zu I-ver, brethren, Bruder zu I-dren, 

I-Spektive:
 
Ein Rasta sieht sich als Afrikaner, egal, wo er geboren wurde und lebt. Er sieht nicht nur eine afrikanische Kultur, sondern eine kulturelle Achse, von der der ganze Kontinent profitieren wird. Das Konzept der Rastafarians reißt die von den europäischen Kolonialmächten 1884 in der Berliner Konferenz gezogenen Grenzen ein und ersetzt sie durch eine panafrikanische Idee. Denn Rasta ist mehr, als eine Religion, es ist eine Lebensweise nach den in der Bibel überlieferten Regeln des Altertums. Sie möchten im Mutterland leben, wenn die Repatriierung vollzogen wurde. Sie wollen eine Kultur etablieren, die Natur und Umwelt achten und in Harmonie miteinander leben. 

Rastas achten die Frauen, sie sind die Mütter der Schöpfung, gebären den Nachwuchs. Sie achten die Alten, denn sie liefern Ratschläge, sind eine Quelle des Wissens und dienen als Lehrer. 

Wer die Rastas auf ihrem Weg ins gelobte Land aufhält, handelt gegen JAH. Sie sind gegen jede Form der Unterdrückung, friedliebende Menschen, denen Gemeinschaft, Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit wichtig sind. Um diese Werte zu verteidigen und ihren Weg gehen zu können, sind sie jedoch bereit, wenn nötig, auch militant vorzugehen. 

Livity:
 
Rastas leben häufig zurückgezogen in den Bergen, in Kommunen oder in größeren Gemeinschaften in den Gettos von Jamaika. Sie versuchen, ohne ein Anstellungsverhältnis, ohne einen Boss zu überleben. Geld wird durch Hustling, durch kleine Geschäfte, verdient. Die Bobo Dreads zum Beispielverkaufen selbst hergestellte Besen an den Straßenecken. Viele stellen ihre Nahrung, das I-tal selbst her, leben als Subsistenzbauern, wobei der produzierte Überschuß in Tauschgeschäften gehandelt wird. 

Zigaretten, Alkohol, Salz, Gewürze und Schweinefleisch sind verpönt. Ein orthodoxer Rasta ißt nur Nahrung, die von Rastas produziert und gekocht wurde. Viele essen aus Respekt vor der Schöpfung überhaupt kein Fleisch, denn man muß Gewalt anwenden, wenn man die Tiere schlachtet. Das entspricht nicht ihrem Verständnis mit der Umwelt in Harmonie zu leben.

Viele Regeln der Rasta Livity werden aus dem Alten Testament abgeleitet. Die Dreadlocks z.B. gehen auf das 3. Buch Mose zurück, genau so, wie die Ablehnung von Operationen oder Amputationen. Die Regeln des Zusammenlebens stammen aus der gleichen Quelle. So gilt bspw. eine menstruierende Frau als unrein und muß in einer separaten Hütte schlafen. 

Organisationen und Prinzipien:

Obwohl Rasta weltweit als eine sehr unorganisierte Bewegung gilt, haben sich auf Jamaika vier Organisationen gebildet: Nyahbinghi, 12 Tribes, Orthodox und Bobo Shanti. Weiterhin existiert die äthiopisch orthodoxe Kirche, die als Kirche Selassies und als ehemalige Staatskirche Äthiopiens großen Zulauf hat, was allerdings mit einer Mitgliedschaft in einer der vier Organisationen nicht kollidiert. 

Rasta hat weniger mit Doktrinen und Prinzipien zu tun und trotzdem haben die Mitglieder der vier Rastaorganisationen und auch die vielen Unorganisierten auf der ganzen Welt einige Gemeinsamkeiten.
 
Das verbindendste Element ist der Glaube an Haile Selassie als spiritueller Herrscher und an Marcus Garvey als Vorkämpfer der Bewegung. Sie lesen die Bibel und leben nach ihren Regeln. Rastas kämpfen gegen Unterdrückung, versuchen gesund zu essen und zu leben. Sie machen keine Kompromisse, sprechen die Wahrheit, tun nichts Unrechtes, denken und handeln positiv, sie streben nach Informationen, denn Wissen ist Macht. Sie sind JAHs Krieger, heilig, nichts kann sie verletzen. 

Symbolik:
 
Das auffallendste Symbol der Rastafarians ist ihre Mähne. Weder Schere, noch Kamm berühren Haupt- oder Barthaare. So entwickelt sich über die Zeit eine verfilzte Haarpracht, die oft unter der Strickmütze oder im Turban getragen wird. Oft tragen sie Portraits von Haile Selassie als Kettenanhänger oder als Plakette an ihrer Kleidung. Die meistgetragenen Farben sind Schwarz für ihr Selbstverständnis und die Farben der äthiopischen Nationalflagge, rot, gold und grün (rot steht für das Blut, Gold für die in Afrika gestohlenen Reichtümer und grün für die Hoffnung auf ein besseres Leben). Patois hat mit der Anwendung des I eine symbolische Bedeutung für die Kommunikation untereinander, genauso, wie der Gruß „one love“, der ausdrücken soll, daß man Andere genau so lieben soll, wie sich selbst. Oft sieht man auch das Zeichen der Dreifaltigkeit, die Hände bilden ein nach unten gerichtetes Dreieck. 

Bestimmt sind in diesem Beitrag Elemente der Rastafarians verzerrt dargestellt, zu kurz gekommen oder sogar vergessen worden. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle entschuldigen. Für Ergänzungen, Korrekturen und Hinweise bin ich dankbar: Mail

JAH live on in the heart of Man.


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