Der Hanfkult der Bena Riamba

Der Hanfkult der Bena Riamba

Die Erscheinungsbilder
von Cannabis in gesellschaftlichen Strukturen interessieren mich immer
brennend. Im vorliegenden Fall haben wir eine wunderschöne Quellenlage,
was einen Hanfkult, ausgeübt von den Bena Riamba, was in Chiluba,
einer zentralkongolesischen Bantusprache soviel wie “die Söhne des
Hanfes” bedeutet. 

Es ist das Ende des vergangenen Jahrhunderts. Afrika wurde auf der
Kolonialkonferenz 1884/85 auf dem Reissbrett zwischen den vierzehn Kolonialmächten
aufgeteilt. Wir befinden uns in dem privaten Jagdrevier des Königs
Leopold II von Belgien, einem Gebiet, das als “der Kongo” bekannt ist.
Das Land, welches seinen Namen von dem durchfließenden Strom erhalten
hat, ist gigantisch. Wir reisen den Kongo stromaufwärts, bis wir in
das Gebiet seiner oberläufigen Quellflüsse im östlichen
Teil des Landes gelangen. Dort biegen wir ein in den Lulua und reisen diesen
immer noch recht mächtigen Fluß weiter stromaufwärts, lassen
die Bakuba und Baluba links und rechts liegen und kommen in das Gebiet
der Bena Lulua. Damit sind wir schon fast am Ziel unserer Reise. Die Bena
Riamba leben in der Region Lubuku und sind unmittelbare Nachbarn der eben
erwähnten Bena Lulua und bilden tatsächlich eine sehr charakteristische
Untergruppe des Volkes.

Die Quellen
dieser Informationen sind eine Menge Reiseberichte aus dem neunzehnten
Jahrhundert. Die wichtigsten Autoren sind zwei Herren namens Hermann von
Wissmann und Paul Pogge. Diese Männer unternahmen für die Deutsche
Gesellschaft zur Erforschung Afrikas mehrere Expeditionen in das Gebiet
des Kongo, mit dem Endziel, Zentralafrika von West nach Ost per Karawane
zu durchwandern. Pogge verstarb recht schnell an den Strapazen, die eine
Reise in der Zeit mit sich brachte und so verblieb nur noch Hermann von
Wissmann, Soldat der preußischen Armee. 

Schon derzeit brauchten solche großen Projekte Finanzierungsmittel.
Dazu dienten beispielsweise die Verkaufserlöse aus den Publikationen
der Reiseberichte, die mir als Quelle vorliegen, aber auch Privatmänner
fungierten als Sponsoren, so wurden ein paar Reisen auch von Leo aus Belgien
finanziert, es handelte sich ja schließlich um die Erforschung und
Erschließung seiner Privatkolonie. 

Hauptziel
dieser Expeditionen war es, geographische Fragen, wie den Verlauf großer
Ströme zu bestimmen und der expandierenden Industrie in Europa neue
Handelsmärkte zu erschließen. Diese harmlos klingenden Gründe
sind allerdings Ursprung der heute offensichtlichen Zustände in Afrika.
Ziel war es, die Kolonien unter Kontrolle zu bringen und sie so intensiv,
wie möglich auszubeuten. 

Diese Einstellung kann man bei dem Verhalten der Forscher vor Ort
sehr gut wiedererkennen. Beispielsweise, als es darum ging, eine innerafrikanische
Station anzulegen und zu sichern. Ohne Rücksicht auf vorherrschende
Strukturen, wurden der Handelsstation zuträgliche politische Verhältnisse
in der Region Lubuku geschaffen und jeder dort lebende Afrikaner nach deutschen
Kriterien als kooperativ oder problematisch eingeordnet und entsprechend
behandelt. 

Auch wenn der Hintergrund der Expeditionen und die Entstehung der
Reiseberichte durch die genannten Schweinereien eher anrüchig sind,
war es ob des in der Epoche angewendeten Schreibstils ein Genuß,
die Bücher zu lesen. Ich hatte viel Spaß dabei und hoffe, daß
ich ein bißchen davon mit dieser Geschichte rüberbringen kann.

Über den Ursprung von Cannabis sativa in Afrika gibt es zwei
Thesen. Die erste behauptet, daß die Urbevölkerung Süd-
und Zentralafrikas, die Khoi-Khoi, die San und die Pygmäen die Drogen
kannten und daß die Bantuvölker den Gebrauch der Pflanze bei
Kontakten mit den Gruppen erlernten und weiterentwickelten. Die zweite
These besagt, daß frühe Kontakte im zweiten oder dritten Jahrhundert
a.d. zwischen Afriknern und Arabern das Kraut in Zwischenstationen über
alte Handelsstraßen ins Kongobecken oder in das Gebiet des Viktoriasees
gebracht haben und daß sich Ganja später von dort durch die
sich in Bewegung befindenden Bantuvölker weiter verbreitet hat. 

Jedenfalls
ist das Kraut irgendwann auch bei unseren neuen Freunden, den Bena Riamba,
angekommen. Wie schon gesagt, leben sie in der Region Lubuku was soviel,
wie “Land der Freundschaft” heißt und deren geographische Position
zwischen fünf und sieben Grad südlicher Breite und zwischen zweiundzwanzig
und dreiundzwanzig Grad östlicher Länge liegt. Der Lebensraum
entlang des Flusses Lulua ist sehr fruchtbar und üppig und war unter
Anderem aus diesen Gründen vor hundert Jahren noch nicht sehr leicht
zu erschließen. Dadurch konnten derzeitige Potentaten ihre Macht
räumlich nicht besonders ausweiten. Es herrschte der Kommunalismus,
sprich eine kleine Anzahl von Nachbardörfern waren autonom funktionierende
Einheiten und gleichzeitig der sehr begrenzte Regierungsbezirk eines lokalen
Herrschers. 

Die Einführung des Hanfkultes, in der Literatur als “Riambakult”
beschrieben, wird auf die Jahre um 1870 datiert. Rund um das Siedlungsgebiet
der Bena Riamba gab es viele Völker , wie z.B. die Kanyoka und Kaluda,
die Cannabis konsumiert haben. Es wird angenommen, daß interethnische
Kontakte bei Jagdexpeditionen oder Tauschhandeln das Kraut nach Lubuku
gebracht haben. Als Zentrum und Ursprung der Verbreitung der Pflanze wird
das Dorf von Häuptling Muamba Putu genannt. Aber am intensivsten vorangetrieben
wurden der Gebrauch und die Verbreitung von Cannabis von drei anderen Personen,
die uns immer wieder begegnen werden: Kalamba, Kassongo und Kabassu Babu,
allesamt einflußreiche Personen, die den Gebrauch von Ganja unterstützt
haben.

Die Einführung der Pflanze bewirkte unter den Bena Riamba eine
mittlere Revolution, denn mit der Pflanze wurden eine Reihe weiterer Dinge
eingeführt und andere althergekommene Sitten und Gebräuche abgeschafft.
Es fanden Auseinandersetzungen zwischen Dörfern oder den Verästelungen
der örtlich gebräuchlichen Großfamilien statt, sollten
sich irgendwelche Leute geweigert haben, dem neukreierten Riambakult beizutreten.
In der Regel bestand die Tendenz, kleinere, autonome Siedlungen zusammenzulegen,
die dann von einem Riambagetreuen geführt wurden.

Hanf wurde von den Bena Riamba in allen Lebenslagen geraucht. Dazu
wurden Wasserpfeifen benutzt, hergestellt aus abgebundenen Kallebassenkürbissen,
die bis zu einem Meter Umfang haben können. Das Rauchen von Riamba
war zu einer Pflicht geworden. Kalambas Thronfolger, Kalamba Muana bemerkte
einmal, daß ein Leben ohne Hanf auf der Erde nicht möglich sei.
Der Cannabiskonsum wurde zu einer Art von Staatsreligion in der Region
Lubuku, wodurch viele alte Elemente aus der Kultur der Bena Riamba verdrängt
wurden.

Der Kopf
und das Zentrum des Kultes war Kalamba, der von seiner Schwester Sangula
Meta, der Hanfpriesterin unterstützt wurde. Sangula Meta leitete die
Zeremonien, bei denen immense Mengen von Hanf konsumiert wurden und nahm
dabei auch selbst eine sehr aktive Position ein. Geraucht wurde aus verschiedenen
Anlässen, meistens öffentlich auf der Kiota, einem überdachten
Teil des Dorfplatzes. Die Männer waren dem Riambakult mehr ergeben,
als die Frauen, tatsächlich dürfte es wohl die Lieblings- und
Hauptbeschäftigung der Herren gewesen sein, Ganja zu rauchen. 

Ob der Bena Riamba sich auf Reisen befand oder im Krieg oder bei
der Jagd war, er trennte sich nie von seiner Pfeife. Wissmann weiß
sogar von einem Erlebnis zu berichten, wo eine solche Wasserpfeife eine
Frau vor dem Ertrinken rettete, sie hatte sich einfach darangeklammert,
bis sie von jemandem an Land gezogen wurde. 

Der Riambakult
gipfelte meist im Riambatanz, an dem sich das ganze Dorf beteiligt. Auch
dazu gibt es illustre Originalbeschreibungen Wissmanns. Jedermann und -frau
konsumiert Hanf, das Leben jedes Einzelnen ist von Riamba durchdrungen,
niemand stellt sich dem Kult entgegen, ausgenommen die noch nicht vom Kult
eingenommene Gruppen, wie die Ischipulumba. 

Das Rauchen von Ganja wurde zu einem Ersatz für früher
übliche Gewohnheiten und Riten, die mit Einführung des neuen
Kultes verschwanden oder verdrängt beziehungsweise unterdrückt
wurden. So wurde der vorher herrschende Glaube an die Ahnen und an Orakel
vom Riambakult verdrängt. Das Rauchen von Hanf zur Strafe oder zur
Demütigung oder Unterwerfung von aufmüpfigen Individuen kamen
dazu. Auch dazu gibt es ein paar drastische Schilderungen Wissmanns. Weiterhin
wurde Riamba als Stimulanz bei Ermüdungserscheinungen konsumiert,
es gab dem Bena Riamba die notwendige Lebensenergie, wie gesagt, es existierte
die Vorstellung, daß ein Leben ohne Hanf nicht möglich sei.

Der Kult in Form einer einheitlichen Staatsreligion kam Kalamba sehr
zu Hilfe, um seine Zentralisierungsbestrebungen weiterzubringen, er nutzte
den neuen Glauben als Mittel zur Bindung von autonomen Gruppen in seine
Machthemisphäre und expandierte dadurch immer weiter. Die eingebundenen
Siedlungen mußten sich an den neuen Stil anpassen, es wurde eine
andere Ernährung vorgeschrieben, die Haltung von Haustieren wurde
verboten, denn das Schlachten der Tiere würde gegen die friedliche
Lebensweise verstoßen, die Bena Riamba wollten möglichst jedes
Blutvergießen vermeiden, bestimmte Bäume wurden gefällt,
weil der Konsum von Palmwein verboten war, obwohl das Verbot nie konsequent
eingehalten wurde, die Bananenstauden wurden aus dem gleichen Grunde vernichtet.
Zu dem Verbot der tabuisierten Gewächse gehörten noch ein paar
weitere Wild- und Kulturpflanzen, von denen angenommen wurde, daß
sie magische Kräfte haben können.

Diese Veränderungen in der Lebens- und Eßweise der Bena
Riamba wird als eine Abgrenzung zu den ungläubigen Ischipulumba gesehen.
Offensichtlich haben die Söhne des Hanfes aber eh eine außerordentliche
Stellung unter den Völkern der Region. Wissmann beschreibt sie als
Volk mit höherer Zivilisationsstufe, die alles ihnen Neue und Unbekannte
mit Ausdauer erforschen und in ihre Kultur integrieren. Wie progressiv
Kalamba war, zeigt eine Situation, in der er und Wissmann Blutsbrüderschaft
schließen wollen: das Blut wurde nach Einspruch von Kalamba durch
Cannabissamen ersetzt, die in Wasser zerkocht und dann von den beiden getrunken
wurden.

Die Bena
Riamba hatten ihre Körper mit äußerst kunstfertigen Skarifizierungen,
kleinen Hauteinritzungen, in die Farbe eingebracht wird, geschmückt
und hatten gewisse Stellen bislang nur mit zwei kleinen Lappen verhüllt.
Auch das wurde durch den Riambakult verändert, es wurden eingetauschte
europäische Stoffe getragen und die Würde eines Häuptlings
bestand oft aus einer alten, ausgedienten Uniformsjacke, Sandalen, Pudelmütze
und Regenschirm. Es gab sogar erste, zaghafte Versuche, das von der deutschen
Expedition mitgebrachte europäische Eßbesteck auszuprobieren.

Kalamba baute seine Oberherrschaft immer weiter aus, er ließ
in allen Dörfern die Bäume fällen, Rauchen sollte nur noch
unter freiem Himmel stattfinden, alte, kraftgeladene Fetische wurden durch
Riambarauchen unschädlich gemacht oder öffentlich verbrannt,
widerspenstige Kandidaten wurden gefügig gemacht. In der Regel wurde
ihnen Pfeffer in die Augen gestreut und dann mußten sie rauchen,
bis die Ohnmacht eintrat. Dabei wurden sie gedehmütigt und eventuell
sogar körperlich mißhandelt. Allerdings war die Todesstrafe
quasi abgeschafft, nur einmal hat Kalamba einen Mörder hinrichten
lassen. 

Riamba wurde zum Zeichen der Freundschaft, zur Anerkennung von Bündnissen
oder Verträgen geraucht, ein frischer Zweig Ganja diente allgemein
der Begrüßung von gestandenen Persönlichkeiten. Rechtliche
Vergehen, wie beispielsweise Ehebruch oder Diebstahl wurden durch öffentliches
Cannabisrauchen bestraft, wobei die Anzahl der zu rauchenden Pfeifen von
der Härte des Verbrechens abhängig war. Zweifelhafte Rechtsfälle
wurden durch eine Hanfprozedur entschieden, die eine Art von Orakeltechnik
darstellte.

DiePflanze wuchs in jedem Garten der Bena Riamba und das Rauchen
gehörte als fester Bestandteil zum sozialen Alltag dazu. Der Riambatanz,
der zu allen möglichen Anlässen (aus Freude, zum Empfang von
V.I.P.s, zur Kriegsvorbereitung, als Fruchtbarkeitstanz, zum Oraken usw.)
aufgeführt wurde, war ein soziales Happening, in das ein ganzes Dorf
integriert war. Das friedliche Zusammenleben der früher so wilden
Leute führt von Wissmann auf die “narkotisierende Wirkung des Hanfes”
zurück. 

Das Familienleben
der Bena Riamba wird als friedlich bezeichnet, die Frau führt den
Haushalt, macht die Feldarbeit und zieht die Kinder auf, wohingegen der
Mann sich nur um die Behausung kümmert und sich sonst Riamba rauchend
auf der Kiota mit den anderen Männern die Zeit vertreibt. Allerdings
beklagt von Wissmann ausdrücklich die laxe Sittlichkeit der Bena Riamba,
insbesondere der Frauen. Na, hat er da nicht vielleicht selbst genascht?
Das relaxte Zusammenleben kann aber auch schnell und abrupt gestört
werden, denn der Bena Riamba tendiert dazu, Angehörige gegen Gewehre
oder europäische Stoffe einzutauschen, wobei moralische Bedenken nach
Ansicht von Wissmann durch Cannabiskonsum betäubt werden. 

Mit der Einführung von Riamba wurde der alte Ahnen- und Fetischglaube
verdrängt und durch eine Art von Seelenwanderung ersetzt. Wissmann
und Pogge beispielsweise wurden bei ihrer ersten Ankunft in Lubuku als
die Wiedergeburten von längst verschollen geglaubten Bena Riamba angesehen.
Da gerade diese Verschollenen große Verehrer des Riambakultes waren,
kamen Wissmann und Pogge nicht daran vorbei, mit den Bena Riamba einige
Züge aus der Pfeife zu nehmen. Preußische Soldaten bekifft in
den Kolonien, wahrscheinlich einer der ersten “Drogenskandale” in der deutschen
Armee. Seitdem trug Wissmann den Namen Kabassu Babu und Pogge wurde Kassongo
genannt. Durch diese Zeremonie wurden zwei Soldaten Seiner Kaiserlichen
Hoheit zu Hauptfiguren in einem obskuren Drogenkult im Dschungeldes Kongos.
Na, wenn das keine Schlagzeilen sind, wenn auch über hundert Jahre
zu spät.

Abschließend
und als Vorgeschmack der nächsten Folge von “was machen die Saupreussen
im afrikanischen Busch” möchte ich Euch nicht vorenthalten, wie der
Soldat Hermann von Wissmann als Protagonist des Riambakultes seine neugewonnenen
Jünger einschätzt: “Ich bin der Überzeugung, daß die
Wirkung des Hanfes auf den Neger eine zähmende ist, daß das
narkotische Kraut die unstäte Wildheit und das unbändige Gefühl
der Absonderung von äußeren Einflüssen mildert und den
Neger zugänglicher und brauchbarer für Cultur und Civilisation
macht, ohne jedoch die wohl übertriebene aber gewiß bestehende
Schädlichkeit der Wirkung auf die Körperconstitution ganz bestreiten
zu wollen. Wie uns die Bena Riamba, früher die wildesten, in ewiger
Fehde unter einander lebenden Stämme beweisen, welche Änderungen
seit dem Hanfcultus mit ihnen vorgegangen ist…” 

Bei der “Körperconstitution” wird Wissmann an einer Stelle deutlicher,
wo er sagt, daß eine größere Anfälligkeit für
Erkrankungen der Atemwege (Lungenentzündung, Tuberkulose) und “eine
allgemein schwächere Constitution des männlichen Geschlechtes”
festzustellen seien. Das alte Ferkel hat wohl überall rumgeschnüffelt,
bei den Frauen bemängelt er laxe Sittlichkeit, bei Männern kleine
Pimmelchen und gekifft hat er auch noch, ob Militärs sich über
die Jahrhunderte einfach nicht ändern, weil sie auf dem Level Sex’n’
Drugs klebenbleiben? Ich habe vorher eigentlich nicht gedacht, daß
solche Zustände bei der preußischen Armee möglich gewesen
sind. Aber das nächste Mal wird es noch skurriler, wenn von Wissmann
selbst zu Worte kommt. In der Dezemberausgabe könnt Ihr es an dieser
Stelle lesen. 


 

Scroll to Top