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INDIANER IN

BOLIVIEN

Tourismus

gegen Kokain

Die

Tiefland-Indianer Boliviens werden immer weiter zurückgedrängt.

Der Stamm der Yuracaré tritt jetzt die Flucht nach vorne an und

wirbt um Ökotouristen. Besucher im Dschungel sollten jedoch eine große

Portion Abenteuerlust mitbringen – und Appetit auf Piranhas. Ein Erfahrungsbericht.

 
Zwei

Tage bei einem Indianerstamm im Amazonasgebiet Boliviens leben – das ist

der Plan. Aber erst einmal müssen wir zu den Yuracaré-Indianern

überhaupt hinkommen, und das ist gar nicht so einfach. Die Reise beginnt

morgens früh um 7 Uhr an einem Militärcheckkontrollpunkt hinter

dem Städtchen Villa Tunari im Zentrum des Landes. Indianische Frauen

mit langen Zöpfen und bunten Bündeln warten auf eine Mitfahrgelegenheit,

ein paar Hühner scharren im Dreck, ein Soldat schiebt seine Sonnebrille

zurecht. Schließlich haben wir den Fahrpreis für ein erbärmlich

klapperndes Taxi ausgehandelt, das uns über eine holprige, mit Flusssteinen

gepflasterte Piste bis tief hinein in den Chapare, das Hauptanbaugebiet

Boliviens für Coca, bringt.

An

vier Checkposten werfen gelangweilt dreinblickende Soldaten einen nachlässigen

Blick in unser Gepäck – es könnte ja sein, dass wir Chemikalien

dabei haben, die für die Kokainproduktion eingesetzt werden können.

Die letzten Ausläufer der Anden verschwinden hinter sich hoch auftürmenden

Wolkenbergen, der Dschungel links und rechts der Straße wird immer

grüner und dichter. Die Luft ist feucht und heiß. Nach zwei

Stunden erreichen wir das Örtchen San Gabriel, ein Kaff aus windschiefen

Bretterbuden, auf deren Wellblechdächern große Satellitenschüsseln

stehen. “Na ja,” sagt der Fahrer augenzwinkernd “Coca ist eben ein gutes

Geschäft.” 

San

Gabriel ist das letzte Dorf vor unserem Ziel, dem Nationalpark Isiboro,

der zugleich den Yuracaré-Indianern als Siedlungsgebiet zugewiesen

wurde. Eine Weile lang sieht es so aus, als würden wir gar nicht erst

bis dorthin kommen. Der bestellte Fahrer ist nicht da, die Straße,

so heißt es, sei weggespült. Aber wir finden schließlich

einen Besitzer eines noch klapprigeren Wagens, der uns doch noch zum Rio

Isiboro bringt: über eine Schlammpiste, die der Fluss schon halb verschlungen

hat, und über Brücken, die nicht mehr sind als zwei Bretter in

Reifenbreite.

Holt

uns der Taxifahrer übermorgen wieder ab?

In

zerrissenen Shorts und T-Shirts stehen die Abgesandten der Yuracaré-Indianer

am Wegesrand und warten auf die Gäste. Don Freddy sagt nicht viel,

er schultert das Gepäck und läuft voran auf einem schmalen Pfad,

der sich durch dichtes Unterholz bis an den Fluss schlängelt, wo ein

Kanu wartet. Wir stolpern hinterher und hoffen, dass sich der Taxifahrer

daran erinnern wird, uns übermorgen wieder hier abzuholen.

Es

ist Mittag, als wir schließlich die kleine Lagune im Nationalpark

erreichen, an deren Ufer die Yuracaré-Indianer leben. Die Hütten

der zwölf Familien stehen auf Pfählen, über Leitern klettert

man auf einen aus Blättern geflochtenen Zwischenboden, auf dem Schlafstätten

eingerichtet sind. In der gesamten Konstruktion steckt kein einziger Nagel,

die Querhölzer sind mit Lianen an den Stützpfeilern festgezurrt.

Dona Marie Luz schuppt frisch gefangene Piranhas und brät sie für

uns an Holzstecken über einem offenen Feuer.

Ihre

Kinder schauen uns mit großen Augen an, ihr Mann Don Freddy versucht

Konversation zu betreiben, indem er uns erzählt, dass sein fünfjähriger

Sohn am Morgen beim Fischen unseres Mittagessens fast von einem Kaiman

gefressen wurde. Irgendwie werden wir das Gefühl nicht los, hier Eindringlinge

zu sein, die in dem beschaulichen Dorfleben des Indianerstammes nichts

verloren haben. Schließlich fasst sich Don Freddy ein Herz: “Wir

sind noch nicht richtig daran gewohnt, Fremde hier zu haben, und wir wissen

nicht so genau, was Ihr euch wünscht. Aber wir sind froh, das ihr

da seid, denn der Tourismus ist für uns die letzte Überlebenschance.”

Cocafelder

reißen riesige Wunden in den Dschungel

Bis

vor einer Generation waren die Yuracaré-Indianer Jäger und

Sammler, die von dem lebten, was der Urwald ihnen bot. Doch ihr Lebensraum

wird immer kleiner, die Gebiete sind längst nicht mehr groß

genug, um darin herumzuziehen. Der Stamm löst sich langsam auf, gerade

mal 200 Familien leben noch in dem zugewiesenen Areal. Das Gebiet schrumpft

zusehends, denn aus dem bitterarmen Hochland Boliviens ziehen immer mehr

Siedler ins tropische Tiefland. Hier gedeiht der Cocastrauch – und der

verspricht ein gutes Auskommen. Auf der Suche nach Anbauflächen für

das grüne Gold machen die Siedler weder vor Nationalparkgrenzen noch

vor Gebietsansprüchen der Ureinwohner Halt und roden den Regenwald.

Über Google Earth ist gut auszumachen, wie die Cocafelder Wunden in

den Dschungel reißen. Die Yuracaré haben weder die Möglichkeit,

die Siedler zurückzudrängen, noch eine Lobby in der Regierung.

“Wenn

Touristen zu uns kommen, verschafft uns das eine Stimme, dann bekommen

wir Aufmerksamkeit und können nicht mehr so einfach ignoriert werden”,

erklärt Don Freddy den Einstieg seines Stammes ins Reisegeschäft.

“Außerdem kann unser Stamm so etwas Geld verdienen. Ohne Touristen

bleibt uns nur, selber Wald zu roden um Coca anzubauen.” Mit Hilfe einer

deutsch-bolivianischen Initiative haben die Yuracaré deshalb ein

Programm für Ökotouristen entworfen. Wanderungen durch den ursprünglichen

Regenwald mit Erklärung der verschiedenen Pflanzen gehören dazu,

ebenso nächtliche Kanuausfahrten zur Kaiman-Beobachtung.

Beim

Aushöhlen eines Einbaums mithelfen

“Das

Projekt will den Yuracaré mit dem Tourismus eine Alternative zum

Coca-Anbau bieten und so zum Erhalt der Kultur dieses Stammes beitragen”,

sagt Bastian Müller. Der Münchner ist einer der Initiatoren des

Ökotourismusprogramms. Damit es sich von den Touren anderer Anbieter

abhebt, wird den Besuchern angeboten, am täglichen Leben der Dorfgemeinschaft

teilzunehmen. Wer will, kann beim Aushöhlen eines Einbaums mithelfen,

lernen, wie traditionelles Kunsthandwerk hergestellt wird, sich mit Pfeil

und Bogen versuchen oder beim Fischen mit anpacken. Übernachtet wird

nicht in einer Lodge oder im Zelt, sondern in einer traditionellen Hütte,

selbstredend ohne Strom, dafür mit nächtlichem Urwaldkonzert

und garantiert ohne Straßenlärm.

Kaum

dass sich die Nachtmoskitos verzogen haben, übernehmen kleine schwarze

Stechfliegen die Tagesschicht. Inzwischen hat sich die Dorfgemeinschaft

an uns gewöhnt. Dona Marie Luz lacht darüber, das wir uns mit

Dschungelmilch einschmieren, sie will noch einmal die Postkarte mit dem

Kölner Dom und Familienfotos aus Deutschland sehen und wissen, was

man in Deutschland isst. Die Kinder schaukeln fröhlich in einer Hängematte

und erklären uns, wie man ein so Kanu lenkt, dass es nicht umkippt. 

Das

moderne Leben scheint unendlich weit weg zu sein – bis plötzlich von

irgendwo in der Ferne das Knattern einer Motorsäge herüberklingt.

Informationen

zum Yuracaré-Tourismusprojekt unter www.proyecto-yuracare.de

 
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