Culture – Köln, Summer Jam, 4. Juli 1998



 

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Culture – Köln, Summer
Jam, 4. Juli 1998

RootZ: Wir sind Käpt’n Momo, der eine Reggae-Radioshow macht
und Dr. Igüz vom Internetmagazin I R I E. Wie lange macht Ihr jetzt
schon Musik?

Joseph Hill:
Zweiundzwanzig Jahre.

RootZ: Als professionelle Musiker?

Joseph Hill: Ja, als Professionelle.

RootZ: Erinnert Ihr Euch noch, wie viele Platten Ihr in dieser Zeit
veröffentlicht habt?

Joseph Hill: Well, bis heute haben wir achtzehn Alben herausgebracht.

RootZ: Wieviele Leute spielen in der Band?

Joseph Hill: In der Regel sind es neun Musiker, aber im Monment sind
es sieben.

RootZ: Und wieviel Gründungsmitglieder sind noch dabei?

Joseph Hill: Zwei…

RootZ: Das bist Du…

Joseph Hill: …und Albert Walker.

RootZ: Was uns interessieren würde ist, ob Ihr auch manchmal
mit Gastmusikern oder -sängern arbeitet?

Albert Walker: Ja…

RootZ: Auch mit Künstlern aus der Raggamuffin-Szene?

Albert Walker: Immer, mit jedermann, wir treffen verschiedene Arten
von Leuten, denn Musik ist wie ein Rad. “What goes around, comes around”,
man trifft sich immer wieder.

RootZ: Wie oft wart Ihr schon auf Tour in Deutschland?

Joseph Hill: Well, wenigstens einmal im Jahr, seit den Zeiten des
Anfangs bis heute.

RootZ: Und im Moment, seid Ihr auch auf Tournee, oder seid Ihr nur
für den Summer Jam gekommen?

Joseph Hill: Wir waren in Amerika unterwegs, für vier Wochen,
bevor wir hierher gekommen sind. In Europa touren wir für drei Wochen,
erst Deutschland, dann gehen wir nach Amsterdam und nach Skandinavien und
in weiter Länder.

RootZ: Welchen Musiker hörst Du gerne privat?

Joseph Hill: Well, nach all dieser Zeit und nach all der Masse von
Musik, die ich gehört habe, möchte ich keinen Reggae-Kommentar
abgeben, weil den eigentlich jeder kennen müßte, aber im großen
Bereich der Musik mag ich eine afrikanischen Gruppe namens “Ladysmith Black
Mambazo” wirklich sehr gerne.

RootZ: Du stehst also auf die Mbube- Musik aus Südafrika, die
Choralgesänge?

Joseph Hill: Yeah!

RootZ: Bekommst Du aus dieser Musik Inspirationen für Deine
eigenen Songs? Manchmal kommt es mir so vor, als wäre Eure Gesangsstruktur
vergleichbar mit der Mbube-Musik aus Südafrika.

Joseph Hill: Fakt ist, daß wir alle eins sind, es ist im Blut.
Das ist eine Strömung, die sich nicht kontrollieren läßt,
egal, was die Leute sagen. Unser Konzept von “One Blood” wächst und
geht weiter.

RootZ: A propos Afrika, ich habe gerade mit einem Freund aus Simbabwe
gesprochen und der sagte, daß er die Show, die Culture Anfang der
Neunziger dort gegeben hat, nie vergessen wird. Culture hat alles gegeben,
was sie konnten, sie haben über drei Stunden gespielt und das ganze
Stadion in Harare hat an dem Abend gekocht. Verglichen damit, sind die
Shows, die Ihr hier in Europa gebt immer recht kurz, in der Regel nur fünfundsiebzig
Minuten lang. Woran liegt das, ist das die Stimmung der Zuschauer, oder
begrenzen Euch die Verträge, die Ihr hier mit den Veranstaltern abschließt?

Joseph Hill: Well, der Vertrag ist ein Punkt, der andere ist die
Zeiteinteilung und die Menge der Bands auf den Festivals, weiterhin die
Organisation, es sind viele Dinge, die darauf Einfluß nehmen. Die
Musik selbst ist nur ein Teil, darum herum passieren noch viele andere
Dinge. Was ich damit sagen möchte ist, daß oft ein Künstler
für eine Show angekündigt ist und er es trotz allem irgendwie
nicht bis auf die Bühne schafft. Und dann fangen unsere Zuhörer,
die uns sehr wichtig sind, an, sich zu fragen, warum der Musiker nicht
aufgetreten ist. Und da ist noch ein anderer Punkt, diese “Immigration”,
die Passkontrolle, sie steht im Weg, wie ein geschlossenes Tor, anstelle
für die Leute ein Paß zwischen Ländern, ein offenes Tor
zur Welt zu sein, das Menschen wie der Wind durchqueren können. Sie
bauen ein Tor und halten die Leute davon ab, ihr Ziel zu erreichen, sie
eliminieren den Besuch von Leuten und Schlimmeres. Einige stellen sogar
impertinente Fragen, die sie am besten garnicht erst ausgesprochen hätten.
Es gibt Leute, die werden geboren, man gibt ihnen eine Knarre und läßt
sie herrschen obwohl sie im Inneren Feiglinge sind. Und dann lassen sie
diese Feiglinge gegen die Mutigen kämpfen. Eine mutige Person ist
für mich jemand, der aufsteht und sagt, was falsch ist. Ein Feigling
kann so etwas nicht tun, es sei denn, er hat eine Waffe.

Albert Walker: Jede Nacht spielen wir die Songs von ungefähr
zwei Alben. Jede Nacht spielen wir für über zwei Stunden, bei
jedem von unseren Auftritten. Wir hören nie vor neunzig Minuten auf,
es ist nicht nur der Vertrag, sondern es sind auch unsere Fans, weißt
Du, wir müssen ihnen geben, was sie wollen, ihre harten Ansprüche
befriedigen. Meistens spielen wir deshalb bei unseren Shows für mehr
als zwei Stunden.

RootZ: Etwas ganz anderes; habt Ihr Kinder?

Joseph Hill: Ja, wir haben Kinder, sie sind schon groß.

RootZ: Wie sieht es mit kleinen aus?

Joseph Hill: Mein Jüngster ist achtzehn Jahre alt.

RootZ: Auch schon ein Großer, und Du, Albert?

Albert Walker: Ein Mann ohne Kinder ist wie ein Mann ohne Stimme
in dieser Welt. Du kannst zwar sprechen, aber nur sehr eingeschränkt.

RootZ: Was macht Ihr in Eurer Freizeit, wenn Ihr ‘mal keine Musik
macht, weder im Studio, noch auf Tournee seid?

Joseph Hill: Spaß haben mit den Kids, man, seen. Ich denke,
daß jedes Kind mein Kind ist, solange es mit mir zusammen ist, egal
wessen Kind es tatsächlich ist. Dann haben wir eine unbegrenzte Menge
Spaß, den man nur haben kann, wenn man mit Kids zusammen ist. Ich
betätige mich manchmal ein bißchen als Farmer. Wir haben einen
kleinen Platz in den Bergen, wo wir hinfahren und etwas auf dem Land arbeiten.
Solche Sachen, oder wir fahren an die See oder an einen der Flüsse
und haben eine gute Zeit, wir gehen zum Dance , hören uns Rub-A-Dub
an, spielen und tanzenbei den Soundsystems.

RootZ: Erzählt ‘mal, wie ein normaler Tag in “Jamdung” für
Euch aussieht. Was macht Ihr, wenn Ihr morgens aufsteht?

Joseph Hill: An einem normalen Tag sage ich nach dem Aufwachen zuerst
meine Gebete, wasche mich und gehe dann raus, um alle meine Tiere, meine
Hühner, meine Gänse, und all den Rest zu füttern. Dann geht
es weiter zu den Kühen und später schaue ich auf der Farm, was
noch am dringendsten erledigt werden muß, “burn a little spliff”
und rumschauen. Zu der Zeit ist es schon ungefähr Mittag. Während
ich diese Sachen erledige, schaue ich mich um und gebe Jah “thanks and
praises” für alles, was blüht und Früchte trägt. Ich
versuche immer, ein Ding zu tun, das viele Leute nicht tun: mich um meine
eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Wenn man sich um seine eigenen
Angelegenheiten kümmert, bekommt man nämlich in gewissen Situationen
auch keinen Ärger. Ich finde immer etwas zu tun, das konstruktiv ist
und auf meiner Farm ist man wenigstens weg von gedankenlosem Ärger
und ungewünschten Problemen.

RootZ: Und wann liest Du den “Gleaner”?

Joseph Hill: (lacht) Well, ich lese dern Gleaner zweimal am Tag,
am Morgen und nochmal abends, denn morgens die ganze Zeitung durchzulesen,
schaffe ich nie. Ich muß schließlich nach allen meinen Tieren,
die mich morgens aus dem Bett schmeißen, gucken. Wenn ich aufwache
sind da einhundertfünfzig Hühner und der ganze Rest, die mit
ihrem “da da da da, ko ko ko ko” und all den anderen Geräuschen einen
Krieg um das Frühstück losbrechen. Zuerst muß ich denen
Frühstück geben, bevor ich mich um meines kümmern kann.

RootZ: Was Du erzählst, hört sich nach einer schönen,
traditionellen “livity” an.

Joseph Hill: Yeah, yeah, wir leben mitten in einer großen Plantage,
weißt Du. Ganz Jamaika ist eigentlich eine große Plantage und
wenn man clever ist, kann man da ganz gut zurecht kommen. Weißt Du,
wenn man morgens aufwacht, kann man die ganze Schönheit dieses Ortes
spüren und Du erkennst, was Du tust, wenn Du etwas tust. Zu Hause
kann ich einfach aufstehen, mein frühes Frühstück haben
und mich dann um all die kleinen Sachen, wie das Züchten von Kaninchen
und die Hühner kümmern. Zuerst schaue ich nach ihnen und dann
setze ich mich vielleicht hin und höre etwas Musik oder solche Sachen
und abends muß ich das Programm vom Morgen wiederholen. Wir machen
auch manchmal ein paar Shows auf Jamaika, denn die Leute wissen, daß
wir da sind und sie warten auf uns, genauso, wie hier.

RootZ: Obwohl Ihr “down to the roots” auf dem Lande lebt, nehme ich
an, daß Ihr auch Zugang zu den modernen Kommunikationsmitteln, wie
das Internet, habt. Was haltet Ihr vom WWW, ist es eine gute Grundlage
für die Promotion von Reggaemusik und -musikern?

Albert Walker: Aus meiner Sicht würde ich ja sagen und für
die Technologie danken. Andererseits kann diese Technologie in der Hand
von Piraten oder “wicked people” genauso, wie eine Knarre in der Hand eines
verwundeten Mannes wirken.

RootZ: Seid Ihr schon im Internet präsent, habt Ihr eine Homepage?

Joseph Hill: Ich nicht, man vernetzt sein Büro und schon ist
man zu Hause frei. Ich lasse mich selbst nicht so dicht vernetzen.

RootZ: Würdet Ihr gerne etwas über dieses Land sagen. Beispielsweise
weiß ich, daß ausländische Künstler in der letzten
Zeit ein paar kleine Probleme mit ihren Gagen hatten, weil die Pauschalsteuern
erhöht wurden. Merkt Ihr das bei Euren Gagen, wenn Ihr in Deutschland
auftretet?

Joseph Hill: Well, das Buch von den Königen in der Bibel sagt:
“was ist des Herrschers, das gib dem Herrscher”. Wenn da ein Herrscher
ist, dann gebe ich ihm, was seines ist und ich habe keine Probleme.

Albert Walker: Wenn man sich betrachtet, was auf der ganzen Welt
passiert, dann ist Deutschland gut, weißt Du. Ich lebe auf Jamaika
und das ist bei ein bestimmten Dingen rückständig. Oder gestern,
ich erinnere mich, daß ich morgens kein Frühstück hatte.
Ich war in Belgien und kam runter ins Restaurant und aß eine Gemüsesuppe,
die mich fünfzig US Dollars gekostet hat. Wenn ich hier in Deutschland
gewesen wäre, da bin ich sicher, wäre das niemals so teuer gewesen,
das sage ich Dir.

RootZ: Ich würde sagen, das war Abzieherei oder hattest Du Deinen
persönlichen Koch oder was hat das so teuer gemacht?

Albert Walker: Nein, vielleicht denken die, daß ich irgendjemand
anders bin. Weißt Du, man kommt mit einem schicken weißen Bus
mit einer Menge von Leuten an, man macht keinen Ärger mit dem Bezahlen.
Vielleicht haben ein paar der Jungs dort nicht genug Geld ausgegeben, vielleicht
denken die auch, wir haben eine Menge Geld. Egal, ich danke Jah dafür,
was wir uns leisten können.

RootZ: Wenn Ihr nach einer Gemüsesuppe fragt, dann gehe ich
davon aus, daß Ihr Vegetarier seid?

Albert Walker: Weißt Du, ich bin jemand, der Fisch und Huhn
ißt. Wenn wir Gemüse zubereiten, dann ist es wichtig, wie es
abgeschmeckt ist um zu Fisch oder Huhn zu passen. Wir Jamaikaner haben
einen anderen Kochgeschmack, wir mögen eine Menge Gewürze in
unserem Essen.

RootZ: Jerk…

Albert Walker: “Jerk”, genau, wenn das Essen nicht nach dem Geschmack
gewürzt ist, dann kann es passieren, daß wir nichts wollen.
Aber wenn man unterwegs ist, nicht zu Hause ist, dann kann man auch nicht
für sich kochen, und die Leute versuchen schon, uns da richtige zu
servieren, aber manchmal ist es hart, aber trotzdem “give thanks for them,
Jah live”.

RootZ: Danke für das Reasoning und wir wünschen Euch eine
bessere Küche.


Copyright Text: Käpt’n Momo / Dr.
Igüz / Photo: Holger / Layout: Dr. Igüz 1999

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