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Platte des Monats
Februar 1999!


Ruts DC vs. Zion Train

Rhythm Collision Remix
Jeder, der seit ein paar Jahren im Reggaebereich die Ohren aufsperrt, wird irgendwann einmal über einen Track der Ruts DC gestoßen sein. Wir schreiben den Anfang der Achtziger Jahre, in England beginnt Lee 'Scratch' Perry seine legendäre Zusammenarbeit mit The Clash und auch einige andere Protagonisten aus der Musikszene Jamaikas und des Punkmobs der Metropolen Englands treffen sich. In dieser Athmosphäre liegt die Ursuppe der vorliegenden Scheibe, für die sich einige Hauptpersonen der Reggae- und Punkszene zusammentaten, um eine Musik zu schaffen, die sich weg vom ewig fließenden Mainstream bewegte: Die Ruts ließen sich mehr von Reggae einnehmen, nachdem sie ihre endgültige Musikerbesetzung gefunden hatten, fügten sie ihrem Namen die Endung DC zu und gingen ins Studio von Neil Fraser alias Mad Professor, der zu jener Zeit gerade von der englischen Musikpresse aufgrund seiner Zusammenarbeit mit Jah Shaka, erst entdeckt und dann hoch gelobt wurde. 

Aus dieser Zusammenarbeit entstand das erste Reggaealbum der Band, das in beiden Szenen derzeit hohe Wellen schlug, es war aber meines Wissens nach gleichzeitig leider auch die letzte Kooperation dieser beiden Lager. Trotzdem entstand mit "Rhythm Collision" ein Klassiker, der bis heute in der Szene gespielt wird. Daß der Bekanntheitsgrad dieser Scheibe bis heute andauert, ist allerdings auch zwei Labels aus dem Reggaebereich zu verdanken: R.O.I.R. aus Amerika ließen die Scheibe Ende der Achtziger Jahre wiederveröffentlichen und Echo Beach aus Hamburg tat Gleiches vor ein paar Jahren. 

So ist das Werk nie in Vergessenheit und im Laufe der Jahre auch an die Ohren des Musiker-Kollektives "Zion Train" geraten. Diese Band aus dem Land der wahnsinnigen Kühe nennt Rhythm Collision, neben anderen Quellen, gar als eine wichtige Inspiration für ihr eigenes Schaffen. So lag es für sie nahe, sich an diesem Klassiker im Remixen zu versuchen. Übung darin konnten sie sich schon bei anderen Kooperationen mit beispielsweise "Afro Celtic Soundsystem", "Junior Reid" oder "Kissing the Pink", aneignen. 

Dieses Projekt jedoch ist trotzdem etwas Besonderes: die Remixe wurden auf dem antiquarischen, vom Mad Professor selbst gebauten Originalmischpult produziert, mit dem schon die ursprünglichen Aufnahmen bearbeitet wurden, es kamen die Originaleffektgerärte zum Einsatz und alles wurde auf einem archaischen 2'' 24-Spur-Gerät abgelegt. Musik aus den frühen Achtzigern produziert auf Geräten aus der gleichen Epoche, angefertigt von den Mitglieder Zion Trains mit dem bekannten Fingerspitzengefühl für die Position der Regler auf dem Pult. Nur hier und da hat die "Zion Train Brass Section" der Originalmusik etwas hinzugefügt, ansonsten unterliegt der ganze Sound einzig und allein der Neuinterpretation einer Band, die sich dem Dub erst über zehn Jahre nach den Ruts verschrieben hat.

Und mensch sollte nicht denken, daß eine solche Produktion so "smooth" abläuft, wie ich Euch hier schreibe, natürlich gab es auch massive Probleme: Als das monstermäßige, ungefähr fünf Zentimeter breite Originaltape das erste Mal in das antiquierte Abspielgerät gelegt wurde, fiel es zum Schrecken der anwesenden Musiker und Studiotechniker auseinander und löste sich teilweise in rostbraunen Staub auf. Also mußte dieses Tonband erst einmal restauriert und konserviert werden. Dafür wird es eingeschickt und "gebacken", wer es weiß, der oder die schreibe es mir. Was sich hinter diesem Prozess des Backens verbirgt, kann ich Euch leider auch nicht sagen. Jedenfalls wird das in diesem Prozess konservierte Band in der Regel auf ein neues Tonband überspielt, um dem Originalmaster nicht noch mehr Schaden zuzufügen. 

Leider ist bei dem Verfahren ein Song, den Ihr vielleicht auf der Scheibe vermissen werdet, über die Wupper, Themse oder wer weiß was für einen Fluß gegangen. Es geht um "Push Yourself", das sich jetzt leider als schon erwähnter brauner Staub in den Ritzen des Studios des Mad Professor abgesetzt hat. Aber, liebe Leute, nicht weinen um das Stück, der Rest des Albums ist so geil, daß mensch über diesen Verlust hinweghören kann. Zion Train beweisen einmal mehr ihr gutes Einfühlungsvermögen in die Musik anderer Bands und haben so ein Werk geschaffen, das zwar in den Achtziger Jahren wurzelt, aber nichts von seiner derzeitigen Aktualität verloren hat. Im Gegenteil, ich hatte immer das Gefühl, daß der Originalmix des verrückten Akademikers für die heutige Dubszene mit zu harten Effekten und Sounds daherkommt. Aber höre da, Zion Train gehen hin und machen aus den einstmals richtig ruffen Tunes neue, moderne, aber nichtsdestotrotz traditionelle Dubsongs, die einen zwar nicht unbedingt zum Träumen anregen, aber die auf jeden Fall einiges ihrer ursprünglichen Aggression zugunsten spaciger Effekte aufgegeben haben. Nein, damit will ich nicht schreiben, daß der Sound verloren hat, im Gegenteil, die alte Musik, betrachtet aus der heutigen Perspektive, hat einen neuen Touch bekommen, der es wieder schaffen wird, neue Ohren für das Album von Ruts DC zu gewinnen. 

Und wem der neue Sound zusagt, der interessiert sich möglicherweise auch für die Originalversionen. So schließt sich für den interessierten Reggae- und Dublover ein weiterer Kreis, von dem die jamaikanische Musik, sei sie auch in England gemacht, lebt: das Versioning, Remixen, Recyclen und Wiederaufnehmen von Themen, Tunes und Songs. Und ein Trend, für den Reggae und Dub schließlich schon vor zwanzig Jahren den Grundstein gelegt haben, wird immer evidenter: der Magier am Mischpult wird immer mehr zu einem festen Bandmitglied und gewinnt für die heutige Szene immer mehr an Bedeutung.

Anhörtips:

Whatever We Dub 
Weakheart 
Love And Fire 


Copyright: Dr. Igüz 1999