Manu Chao – Clandestino

Manu Chao – Clandestino

Ich bin zwar
kein begeisterter Anhänger der Latinowelle, die uns diesen Sommer
Hits von Ricky Marin, Jennifer Lopez oder Lou Bega beschert hat. Und ich
bin auch nicht der uneingeschränkte Fan eines Buena Vista Social Clubs.
Aber dieser Sound hat mich getroffen, wie ein Buschmesser den saftigen
Stiel des Zuckerrohrs: Es ging zack, der Saft spritze und es war vorbei.
Konkret gesprochen, ich war unterwegs in einem gut sortierten Musikhaus,
um mich etwas über die Neuerscheinungen der letzten Zeit zu informieren
und aus den Lautsprechern plätscherte eine sehr undefinierbare Musik.

Nicht Latin, nicht Reggae, kein Folk und kein Salsa, einfach ein
guter Mix aus verschiedensten Stilen, der meine Ohren sich spitzen ließ,
daß ein Herr Spock aus dem 23. Jahrhundert wahrscheinlich vor Neid
erblaßt wäre und sich ins Exil auf den Vulkan zurückgezogen
hätte. Bei mir dauerte es genau drei Stücke, um überzeugt
zu sein, die CD kaufen zu müssen. Letztendlich war es der Song “Welcome
to Tijuana”, der mich direkt vor Ort zum Portemonnaie greifen und
die silberne Scheibe erwerben ließ, er wandelte sich ohne Blößen,
Ecken oder Kanten von einer typisch kubanisch klingenden Melodie in einen
tiefen Roots-Dub ohne wenn und aber.

Nach dem Musikgenuß begann die Fragerei: wer ist überhaupt
Manu Chao, warum singt er in verschiedensten Sprachen? Das Cover gibt nix
her, aber im Internet erfährt man wenigstens, daß er von der
recht bekannten Schrammelkombo “Mano Negra” stammt, die er vor
ca. zehn Jahren mit seinem Bruder gegründet hat und die vor einiger
Zeit nach einer sehr erfolgreichen Südamerikatournee auseinandergebrochen
ist.

Trotz des babylonischen Sprachgewirrs auf dem Album – verwendet werden
Texte auf Spanisch, Englisch und Französisch – ist Clandestino in
der spanischen Musik verankert. Allerdings nicht der radiotaugliche Partysound
der eingangs aufgeführten Musiker – Manu Chao greift auf die musikalische
Tradition der Karibik zurück und bereitet diese durch das Hinzufügen
von Samples (Radioschnipsel, Ambientgeräusche, Telefonatfetzen etc.)
für die Hörgewohnheiten der heutigen Konsumenten auf und erzeugt
damit einen einzigartigen Sound.

Entstanden ist ein Album, das in seiner Einfachheit und Brillianz
besticht. Das liegt daran, daß keine Note so klingt, als wäre
sie geplant gewesen, sondern eher so, als hätte man eine Gruppe von
Straßenmusikern ins Studio geholt und ihre Musik auf eine sehr erfrischende
Art und Weise dort live produziert. Aus jedem Song spricht eine Lebensfreude
und Heiterkeit, die angereichert ist mit witzigen bis engagiereten Texten.
Mit Clandestino ist Manu Chao ein Album gelungen, in dem man kein einziges
der sechzehn Lieder als Füllmasse bewerten muß. Wer auf Latin
steht, für den ist dieses Werk ein Muß. Ich kenne niemanden,
der Clandestino bisher widerstehen konnte, wenn er einmal in den Genuß
dieser außergewöhnlich schönen Musik gekommen ist.

Anhörtips:

Bongo Bong
Mama Call
Por El Suelo
Welcome to Tijuana
El Viento


Copyright: Dr. Igüz 1999

Scroll to Top