RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

Spiegel online 30.12.06

Petrus und Kanonen

Von Sebastian Knauer

Über Weihnachten konnten sich

die bayerischen

Wintersportorte mit der Zukunft vertraut machen – Ski fahren war

allenfalls in höheren Lagen möglich.

Frohgelaunt schweben zwei Männer im gepolsterten

Vierersessellift

auf den Stümpfling. Es sind der Münchner Unternehmer Stefan

Schörghuber, Mehrheitsgesellschafter der “Alpenbahnen Spitzingsee

GmbH”, und Erwin Huber, der Wirtschaftsminister des Freistaats Bayern.

Sie haben sich in dicke Wintermäntel gehüllt, auch wenn das

Thermometer

auf 1504 Metern leichte Plusgrade anzeigt.

Unterwegs passieren sie einen nierenförmigen

künstlichen Wasserspeicher

mit einem Fassungsvermögen von 42.000 Kubikmetern. Eine

Pumpstation

bringt das reine Bergwasser zu den 25 Schneekanonen, die die Pisten

“schneesicher” machen sollen.

Der Politiker Huber ist vom Konzernchef

Schörghuber an diesem

Dezember-Mittag eingeladen, den neuen Skizirkus einzuweihen. Die

Beförderungskapazität in dem Skigebiet oberhalb des

Schliersees wurde

von stündlich 1700 auf 4800 Personen erhöht. Inklusive

Beschneiungsanlagen, Berghütten und Ausgleichsmaßnahmen

für die Natur

hat sich die Schörghuber-Gruppe die Modernisierung rund 14

Millionen

Euro kosten lassen.

Die Investitionsfreude mag erstaunen angesichts der

Perspektiven,

die dem Wintersport in den deutschen Alpen drohen. Wer die Skier, die

er unter dem Christbaum gefunden hatte, gleich ausprobieren wollte, der

musste sich schon in Hochlagen begeben, um auf einer ordentlichen

Schneedecke zu carven. Orte wie Lenggries oder Bayrischzell meldeten

über Weihnachten: Ski und Rodel mies.

Dass es irgendwann im neuen Jahr schneit, davon gehen

selbst die

lautesten Mahner unter den Klimaforschern aus. Sogar mächtig

weiße

Winter wie der vorige, als viele Hausbesitzer um ihre

pappschneebelasteten Dächer fürchteten, sind immer mal wieder

möglich.

Der Genosse Trend jedoch ist erbarmungslos mit den Freunden des alpinen

Skilaufs.

Nach einer zum Saisonstart vorgelegten Studie der

Organisation für

wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) gefährdet die

Erderwärmung im

schlimmsten Fall zwei Drittel aller Skigebiete in den Alpen. Die

bayerischen Orte erwischt es demnach fast komplett: Schon bei zwei Grad

Temperaturanstieg sind 87 Prozent der Pisten zukünftig nicht mehr

als

“schneesicher” einzustufen. Schon in einigen Jahrzehnten dürften

Abfahrten unterhalb von 1500 Metern schlicht unmöglich sein.

Als “schneesicher” definiert die OECD

Örtlichkeiten, die pro Jahr an

mindestens 100 Tagen eine Schneedecke von rund 30 Zentimetern

aufweisen. In den Alpen sind das derzeit rund 600 Skigebiete. Nur ein

Grad weitere durchschnittliche Erwärmung werde ihre Zahl auf 500

mindern. Und jedes weitere Grad bedeutet das Aus für weitere 100

Skigebiete. Der Klimaexperte Shardul Agrawala kam auf diese

bedrohlichen Prognosen, nachdem er riesige Datenmengen durch den

Rechner geschickt hatte. Bereits die Jahre 1994, 2000, 2002 und 2003

waren die wärmsten der vergangenen 500 Jahre.

Natürlich kennen auch Investoren wie Schörghuber

diese Daten. Mal

abgesehen davon, dass sie gern daran erinnern, wie sich zuweilen auch

Klimaforscher widersprechen, handeln sie durchaus realitätsnah: An

der

Wallbergbahn am Tegernsee (790 Meter) ließ Schörghuber

Sessel- und

Schlepplifte abbauen – und errichtete eine 6,5 Kilometer lange

Rodelbahn, die ab 10 Zentimeter Schneeauflage die Touristen anlocken

soll. Die weiße Pracht spielt für den Alpentourismus von

morgen

möglicherweise nur noch eine Nebenrolle. Der Konzern setzt auf

Wandern,

Wälder und Wellness, auf “einen Mix von Sommer- und

Winteraktivitäten”,

wie Schörghuber-Sprecher Holger Lösch formuliert. Einerseits.

Andererseits kann sich die Wintersportindustrie auf die

Standortpolitik der bayerischen Regierung verlassen. Der Landtag

lockerte 2004 die Beschränkungen zum Betrieb von

Beschneiungsanlagen –

seitdem wuchs die Fläche der künstlich beschneiten Pisten um

fast ein

Fünftel (siehe Grafik).

Und so wird munter geklotzt, in Hindelang, in

Garmisch-Partenkirchen, wo wegen der Ski-WM 2011 rund 100 Millionen

Euro in die Infrastruktur gesteckt werden, oder eben am Spitzingsee.

Nicht mal die enormen Kosten für Wasser, Energie und die

Pistenraupen,

die jeden erzeugten Kubikmeter Schnee drei bis fünf Euro teuer

machen,

schrecken ab: Pro Pistenkilometer kalkulieren die Betreiber rund

200.000 Euro.

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