Spiegel online 23.01.07
Alpengletscher schmelzen immer schnellerVon Markus Becker
Die Gletscher der Alpen könnten früher verschwinden als bisher vermutet. Forscher glauben inzwischen, dass schon in 30 Jahren nur noch die größten und höchstgelegenen Eisriesen übrig sein werden.
Die Prognosen für die Zukunft der Alpen klingen immer finsterer. Erst vor einem halben Jahr haben Forscher aus der Schweiz berechnet, dass im Jahr 2100 bestenfalls noch kümmerliche Reste der Alpengletscher geblieben sein könnten. Jetzt kursieren neue Schätzungen, die bei weitem dramatischer klingen: Schon 2050, möglicherweise gar 2037 werden die meisten Gletscher verschwunden sein, wenn die Eisschmelze im gleichen Tempo weitergeht wie in den vergangenen Jahren.
Alpengletscher: Die weiße Pracht schmilzt dahin“Die Gletscher der Alpen sind im Durchschnitt 30 Meter dick”, sagte Roland Psenner von der Universität Innsbruck bei einer Konferenz im österreichischen Alpbach. Derzeit verlören die Eisriesen etwa einen Meter an Stärke pro Jahr, was in etwa einem Masseverlust von drei Prozent entspreche. Dass die Gletscher bis 2050 verschwunden sein könnten, sei angesichts dessen sogar noch eine konservative Schätzung. “Bei drei Prozent Verlust im Jahr kann man sich leicht ausrechnen, dass es noch schneller gehen wird, wenn die Schmelzrate gleich bleibt”, sagte Psenner im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Gletscherschmelze gewinnt an Tempo
Doch das wird sie nicht, wie nicht nur Psenner glaubt. Jüngste Daten deuten darauf hin, dass die Gletscherschmelze an Tempo zulegt. Der World Glacier Monitoring Service (WMGS) mit Sitz an der Universität Zürich konstatiert anhand jetzt veröffentlichter Messdaten, dass die Gletscher der Erde im Jahr 2005 durchschnittlich zwischen 60 und 70 Zentimeter Stärke eingebüßt haben. In Österreich wurde der größte Verlust am Hintereisferner mit 1,06 Metern gemessen, in der Schweiz war der Gries mit 1,67 Metern der Spitzenreiter. In den USA hat mancher Gletscher gar drei Meter eingebüßt. Bedeutender als diese Einzeldaten ist der Trend, den die Forscher des WMGS seit 1980 in neun Bergregionen der Erde nachgewiesen haben: Die Gletscher schmelzen immer schneller. “Abgesehen von regionalen Ausreißern gibt es die eindeutige Tendenz, dass sich die Erwärmung und damit der Gletscherschwund beschleunigt”, sagte Michael Zemp vom Geografischen Institut der Universität Zürich zu SPIEGEL ONLINE. 2003 hätten die Forscher ein Rekordjahr verzeichnet: Bis zu zehn Prozent haben die Eispanzer der Gebirge verloren, sagt Zemp. Das entspreche im Durchschnitt zweieinhalb Metern Eis. Die Jahre 2004 und 2005 seien zwar mit einem Schwund von 0,7 und 0,6 Metern weniger extrem ausgefallen, doch der langfristige Trend zum schnelleren Schrumpfen der Gletscher sei ungebrochen. Für 2006 liegen laut Zemp bisher zwar nur vorläufige Messwerte vor, doch sei es erneut “sehr warm” gewesen. “Gerettet hat uns nur der kalte August”, sagte der Innsbrucker Forscher Psenner. Teufelskreis der Erwärmung
Zu den immer weiter steigenden Temperaturen kommen auch fatale Rückkopplungseffekte. “Die schmelzenden Gletscher werfen immer weniger Sonnenlicht zurück ins All”, erklärt Zemp. Wo statt gleißend weißer Pracht der dunkle Fels hervorlugt, sorgt die Sonne für größere Wärme. Die Folge: Die Gletscher zerfließen noch schneller. Auch der Rückgang an Dicke beschleunigt den Gletschertod: “Verliert man 100 Höhenmeter, steigt die Temperatur im Schnitt um 0,6 Grad”, sagt Zemp. Seit 1980 haben die europäischen Gletscher den Daten des WMGS zufolge um fast zehn Meter an Höhe . Das mache sich inzwischen ebenfalls bei der Schmelzrate bemerkbar. “Wenn sich ein Gletscher erholen soll, muss es einen Winter mit viel Schnee und danach einen kühlen Sommer geben”, sagt Psenner. In den vergangenen Jahren habe man aber das Gegenteil erlebt. Zwar seien genaue Prognosen für die kommenden Jahrzehnte schwierig. Allerdings haben Klimaforscher berechnet, dass Europa in den 13 Jahren zwischen 1991 und 2004 etwa doppelt so viel Gletschereis verloren hat wie in den 30 Jahren davor. Steigt die mittlere Temperatur um ein Grad, müssen die Niederschläge um volle 25 Prozent steigen, damit ein Gletscher seine Masse halten kann. Nicht alle Gletscher der Alpen werden in den kommenden 30 Jahren restlos verschwinden, denn bei der Stärke von 30 Metern handelt es sich lediglich um einen Durchschnittswert. Ein Riese wie etwa der Schweizer Aletschgletscher kommt auf eine Stärke von 800 bis 900 Metern und dürfte damit auch noch im 22. Jahrhundert existieren. Doch insbesondere die kleineren Gletscher, etwa die in Österreich, könnten schon bald verschwunden sein. “Was dann beispielsweise mit dem Skitourismus geschieht, war ist in dieser Saison schön zu beobachten”, sagt Zemp in Anspielung auf die Absage mehrerer Ski-Großereignisse und die massiven Probleme in vielen Skigebieten. “Durch die Erwärmung steigt die Schneefallgrenze immer weiter. Wenn sie den Gipfel eines Berges überschritten hat, kann der Gletscher nicht überleben.” “Bataillon intergalaktischer rauchender Raketen”
Die Erkenntnisse der Schweizer Forscher passen zum neuen Bericht des Uno-Klimagremiums IPCC. Inzwischen äußern sich immer mehr Beteiligte über den Inhalt des Reports, über dessen zentrale Ergebnisse SPIEGEL ONLINE bereits im Mai 2006 berichtet hat. Das Papier enthalte schlagende Beweise, dass die Folgen der globalen Erwärmung nicht abnehmen, sagte etwa der US-Experte Jerry Mahlman. Der kanadische Klimaforscher Andrew Weaver beschreibt die drohenden Folgen gar als “ein Bataillon intergalaktischer rauchender Raketen”. Weaver ist einer der Autoren der vier Teile umfassenden Studie, an deren erstem Kapitel mehr als 600 Wissenschaftler beteiligt sind. Weitere 600 Experten haben die Angaben nachgeprüft, herausgegeben wird der Text von Mitarbeitern aus 154 Ländern. Eine Zusammenfassung der ersten 1600 Seiten wird am 2. Februar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dem IPCC-Bericht zufolge sind die Konzentrationen von Kohlendioxid, Methan und Lachgas in der Atmosphäre die höchsten seit mindestens 650.000 Jahren. Seit 20.000 Jahren habe es keinen so raschen Temperaturanstieg gegeben wie im vergangenen Jahrhundert. Bis 2100 werde sich die Erde um bis zu 4,5 Grad Celsius erwärmen. |
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