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Süddeutsche
Online 04.03.07 Angewandter Klimaschutz – Die Neuerfindung des Rades Das Rettungsfahrzeug des Planeten? Umweltschützer und Verbände fordern, anstatt des Autos für Kurzstrecken häufiger das Fahrrad zu benutzen, um die CO2-Belastung zu verringern. Von Helmut Dachale Geht es um die – zum Teil durchaus aufgeregt geführte – Diskussion, wie viel Kohlendioxid pro Kilometer ein Neuwagen demnächst ausstoßen darf, können sich Fahrradbesitzer beruhigt zurücklehnen. Schließlich sind ihre Vehikel unbestreitbar sauber. Und: Fahrräder sind das verbreiteteste Fahrzeug hierzulande – 66 Millionen Räder fahren oder stehen in Deutschland herum. Kein Wunder, dass jetzt auch die Fahrradlobby verstärkt betont, wie sehr das Radfahren das Klima schütze – besser: schützen könnte. So hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) ein jährliches CO2-Einsparpotenzial von rund drei Millionen Tonnen ausgerechnet. Und in einem Bericht des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem Jahre 2003, der wieder topaktuell ist, wird es sogar für möglich gehalten, per anno bis zu zwölf Millionen Tonnen Kohlendioxid wegzuradeln. Doch all diese Zahlen bleiben Ergebnisse von Hochrechnungen und Projektionen. Und manchmal entstehen daraus regelrechte Visionen, bei denen das Fahrrad als das Rettungsfahrzeug schlechthin für unseren Planeten erscheint. In der Realität sieht es bescheidener aus: Das allseits beliebte Radl leidet unter Beschäftigungsmangel. Jeder hält es für ökologisch untadlig, der Gesundheit dienlich, aber anscheinend nur eine Minderheit auch für alltagstauglich. “Kein Verkehrsmittel wird so unterschätzt wie das Fahrrad”, heißt es folgerichtig im Nationalen Radverkehrsplan. Und auch die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, die kürzlich eine Große Anfrage zur Umsetzung dieses Plans einbrachte, beobachten das wahre Leben mit Realitätssinn: “Das vorhandene Fahrrad wird von vielen gerade im Alltagsverkehr kaum genutzt.” Niederländer sind trittfester Lediglich neun Prozent aller Wege, so ist im Radverkehrsplan zu lesen, werden in Deutschland radelnd zurückgelegt. In Kilometer umgerechnet, sind das magere 300 pro Jahr und Bundesbürger. Da sind die Niederländer sehr viel trittfester: Sie bevorzugen für 27 Prozent ihrer Wegstrecken das Velo. Und hier setzen die Vorstellungen des UBA an: Um den von ihm in Aussicht gestellten CO2-Entlastungsbeitrag zu erreichen, müsse die deutsche Pro-Kopf-Kilometerzahl auf dem Rad wenigstens vervierfacht werden. Dabei ist Fahrradfahren nach Wandern und Schwimmen angeblich schon jetzt die drittliebste Freizeitbeschäftigung der Deutschen. Doch wenn das Rad lediglich sporadisch zum Einsatz kommt, kann von Umweltentlastung kaum gesprochen werden. An lauen Sommerabenden um den Baggersee oder gemütlich über Land – das mag den Kreislauf stärken, dem Klima ist es egal. Und nur ganz selten ersetzen Radtouren das von vielen gepflegte Autowandern, bei dem auf jedem Kilometer Strecke Kohlendioxid in die Luft geblasen wird. Eher ersetzt das feierabendliche Radfahren Bewegungsloses wie Fernsehen oder das Chillen im Straßencafé – und solche Tätigkeiten sind nicht mit einem CO2-Ausstoß verbunden. Aber auch der Staat sollte sich schon mal überlegen, ob er den Schwerpunkt seiner Investitionen in den weiteren Ausbau der Autobahnen und Straßen setzt oder mehr in das in weiten Teilen der Republik nicht vorhandene Radwegenetz investiert. Denn nur bei einem schnellen Rad und guten Wegen macht der Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad Spaß und man lässt das Auto freiwillig zu Hause. Überigens wäre der Weg mit dem Fahrrad eigentlich auch im Winter kein Problem, wenn der Winterdienst die Fahrradwege nicht ignorieren würde.
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