RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 15.03.07

ERNEUERBARE ENERGIEN

Öko ja – nur nicht

bei mir

Von Tobias Lill , München

In Umfragen sind die Deutschen

mit großer Mehrheit für Ökostrom aus Sonne und Wind. Etwas

anderes ist es, wenn Wind- oder Solarparks direkt vor der eigenen Tür

gebaut werden. Lokale Bürgerinitiativen bremsen das Wachstum der Branche.

München – Jörg

Feddern weht oft eine steife Brise entgegen, wenn er mit Küstenbewohnern

über sein Lieblingsthema, die Windkraft, spricht. “Es gibt in Teilen

der Bevölkerung eine starke Ablehnung von Windenergie-Anlagen auf

dem Meer”, sagt der Energie-Experte von Greenpeace. Zwar bezeichneten im

Jahr 2005 zwei Drittel der Deutschen den Ausbau der Windenergie auf See

als “positiv”. Doch wenn eine Windkraft- oder Solaranlage in der Nähe

des eigenen Wohnorts entstehen soll, sei die Aufregung meist groß,

sagt Feddern. “Oft herrscht dann das St. Florians-Prinzip.”

Dabei nimmt Feddern die Bedenken

von Anwohnern durchaus ernst. “Ökologische Belastungen oder gravierende

landschaftliche Auswirkungen müssen unbedingt vermieden werden”, sagt

er. Doch bei der Argumentation mancher Kritiker stehen ihm die Haare zu

Berge. So etwa bei den Protesten gegen den rund 25 Kilometer vor Sylt geplanten

Windpark Butendiek. Als “ökonomischen Unsinn und ökologisch fragwürdig”

brandmarkten Gegner das Projekt. Auch dass der Treibhauseffekt gar nicht

erwiesen sei, war zu hören.

Zu den Gegnern des Windparks

gehört der Verein “Gegenwind – für eine industriefreie Nordsee”.

Die Mitglieder fürchten neben einer optischen Beeinträchtigung

ein höheres Risiko für Schiffsunglücke, wodurch die Strände

verschmutzt werden könnten. Doch eine Klage des Nobel-Ortes Kampen

gegen das 240 Megawatt-Projekt blieb erfolglos. Das Bundesamt für

Seeschifffahrt und Hydrographie stufte die Bedenken als ungerechtfertigt

ein. Die Offshore-Anlage werde tagsüber lediglich “als Kette weißer

Punkte und nachts als Lichterkette am Horizont” erkennbar sein.

Erst im Jahr 2010 soll der

Bürgerwindpark, an dem rund 8.400 Kommanditisten vor allem aus der

Region beteiligt sind, voraussichtlich ans Netz gehen. “Der Widerstand

von Teilen der Bevölkerung ist neben technischen und finanziellen

Aspekten ein entscheidender Grund dafür, dass von den bislang geplanten

Offshore-Parks vor der deutschen Küste noch kein einziger realisiert

worden ist”, kritisiert Feddern. Doch ohne den Bau von neuen Windkraft-Anlagen

sei das “ohnehin viel zu niedrig gesteckte Ziel” eines 20-Prozent-Anteils

der regenerativen Energien bis zum Jahr 2020 nur schwerlich zu erreichen.

Denn Windkraftparks auf dem

Meer spielen beim Energiemix der Zukunft eine wichtige Rolle: Bis zum Jahr

2030 sollen nach Plänen des Bundesumweltministeriums Anlagen mit einer

Leistung von 20.000 bis 25.000 Megawatt im Meer installiert werden. Der

Anteil der Windkraft an der deutschen Stromproduktion, der im Jahr 2006

bei 5,1 Prozent lag, wäre dann zweistellig.

“Falls wir die Erderwärmung

noch stoppen wollen, muss in der Bevölkerung ein Umdenken einsetzen,

wenn es um Klimaschutz vor der eigenen Haustüre geht”, sagt Feddern.

Besonders groß ist der Widerstand der Bevölkerung gegen Windkraft-Anlagen

auf dem Festland. Vor allem in Süddeutschland scheitern Projekte oft

am Widerstand der Anwohner, sagt Ludwig Trautmann-Popp, der Energie-Referent

des Bund Naturschutz Bayern. Trotz ausreichenden Windes sei das ansonsten

bei regenerativen Energien führende Bayern in Sachen Windkraft Diaspora.

Derzeit gebe es im Freistaat

gerade einmal 300 Windkraftanlagen. “Es könnten jedoch, ohne dass

die Natur und die Sicht der Bevölkerung nennenswert in Mitleidenschaft

gezogen würden, deutlich über 1000 Anlagen sein”, schätzt

Trautmann-Popp. Auch in Baden-Württemberg gebe es ein “enormes Potential”,

was nicht zuletzt wegen Widerständen vor Ort ungenutzt bleibe.

Infraschall-Effekt widerlegt

Dabei bedienten sich Windkraft-Gegner

laut Trautmann-Popp oft “durchweg falscher Argumente” . So etwa bei einem

Windpark in Oberfranken. “Da hieß es, das Stadtbild werde durch die

Windräder zerstört, was sich dann als totaler Quatsch herausstellte”,

sagt der Naturschützer.

Auch andere Kritikpunkte

sind nach Ansicht von Umweltschützern längst obsolet. So gibt

es laut Trautmann-Popp zunehmend Möglichkeiten, störende Reflektionen

der Flügel, so genannte Disko-Effekte, zu vermeiden. Auch hätten

Studien die angebliche Belästigung von Anwohnern mit unhörbarem

Infraschall widerlegt. “Zudem muss vom Betreiber vorher nachgewiesen werden,

dass das Windrad nur aus bestimmten Blickwinkeln zu sehen ist”, sagt Trautmann-Popp.

Dennoch sei der Widerstand gegen den Bau neuer Windräder mittlerweile

größer als noch vor ein paar Jahren.

Auch Solarparks scheitern

immer öfter am Widerstand der Bevölkerung. Gerade erst lehnten

die Bewohner in Sünching bei Regensburg in einem Bürgerentscheid

den Bau einer dort geplanten Fotovoltaik-Anlage ab. Auf einer Fläche

von 35 Hektar sollte der mit 15 Megawatt leistungsstärkste Solarpark

der Welt entstehen. In seiner 20-jährigen Laufzeit hätte er soviel

Energie produziert, dass 77 Millionen Liter Heizöl oder 192.000 Tonnen

Kohlendioxid hätten eingespart werden können. Die Gegner fürchteten

aber eine Verschandelung der Landschaft. Auch einige Hundert Kilometer

entfernt, in der fränkischen Gemeinde Adelsdorf, blockierte die Bevölkerung

jüngst den Bau einer 20 Hektar großen Solaranlage.

Die Alternative wären

Kohlekraftwerke

Beim Bundesverband für

Solarenergie kennt man eine Reihe solcher Fälle. “Wir empfehlen unseren

Mitgliedern deshalb, die Menschen vor Ort möglichst schon im Vorfeld

einzubinden. Denn bei Anzeichen von Widerstand macht der Solarpark keinen

Sinn”, sagt Verbandschef Carsten Körnig.

Ganz ohne Solarparks gehe

es jedoch in keinem Fall. Zwar tragen die Parks im Vergleich zu den auf

Dächern installierten Anlagen nur einen kleinen Teil zur Stromerzeugung

bei. Doch Körnig fürchtet um die Rolle Deutschlands als Marktführer.

“Insbesondere in Südeuropa gibt es einen riesigen Markt für Solarparks.

Und wir benötigen ausreichend Testmöglichkeiten im Inland, um

wettbewerbfähig zu sein.” Dabei geht es auch um viele Jobs: Die Zahl

der Mitarbeiter in der Solarbranche soll laut Körnig von derzeit 40.000

auf rund 140.000 im Jahr 2020 steigen.

Für Greenpeace-Experte

Feddern gibt es deshalb nur eins: “Die Menschen müssen begreifen,

dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder, wir bauen mehr Windkraft-

und Solaranlagen. Oder die Bundesrepublik braucht neue Kohlekraftwerke.

Die stehen dann aber auch vor irgend einer Haustür.”

 

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