RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FAZ

online 15.03.07

Zugvögel – Direktflug

ins Frühjahr

Von Carl-Albrecht von Treuenfels

Kraniche ziehen in Flugkeilen

übers Land

Die große Heimsuchung

hat begonnen. In den nächsten zwei Monaten kehren Millionen Zugvögel

aus dem Süden in ihre Brut- und Übersommerungsgebiete nach Mittel-

und Nordeuropa zurück. Die Reisewelle bewegt sich seit Mitte Februar

und bis in die zweite Maihälfte. Ihren Höhepunkt erreicht sie

im April. Deutschland ist für weit mehr als hundert Arten das Ziel

ihrer Reise. Viele der Vögel, die zweimal im Jahr die lange Strecke

zwischen Winterquartier und Brutrevier zurücklegen, überfliegen

das mittlere Europa und streben weiter nach Norden und Osten.

Diese Durchzieher machen

bei uns oftmals mehrere Tage oder gar einige Wochen Station, bevor sie

zu ihrem endgültigen Ziel weiter fliegen. Schon während einer

längeren Reisepause lassen manche Singvögel ihre Stimmen kräftig

erklingen und zeigen Balzverhalten. So erwecken sie bei manchem Vogelfreund

den Eindruck, als wollten sie sich hier zur Brut niederlassen. Doch eines

Morgens sind sie nicht mehr da und zwitschern vielleicht drei Tage später

ihr Werbelied tausend Kilometer weiter nördlich oder östlich.

Zwischenstopp in Vorpommern

– Vom Winter haben die Kraniche nichts mehr zu befürchten

In klar ausgerichteten Flugkeilen

und mit weit tragenden trompetenartigen Rufen haben in der zweiten Februarhälfte

Kraniche, die über Marburg, das Lahntal und den Taunus nordostwärts

fliegen, den ersten deutlichen Hinweis auf die Heimkehr der vielen Zugvögel

in ihre Brutgebiete gegeben. Schon am 25. Februar waren rund 500 Kraniche

in Vorpommern eingetroffen.

Mehr Kraniche als gewöhnlich

machten sich bereits im Februar in Spanien und Frankreich auf den Weg.

Sie werden wie ihre vielen Artgenossen, die ihre Reviere in Niedersachsen,

Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gar nicht erst

verlassen hatten, gespürt haben, dass sie vom Winter wohl nichts mehr

zu befürchten haben. Sie legen in Norddeutschland eine Rast vor dem

Weiterzug nach Skandinavien, ins Baltikum und nach Polen ein. Je weiter

entfernt ihre Brutgebiete liegen, desto länger rasten sie in Frankreich

und in Deutschland – vor allem dann, wenn im Norden noch Schnee liegt und

Kälte herrscht.

Tausende Kraniche in 2000

Metern Höhe

So haben Martin Kraft, Jürgen

Schmidt und ihre Kollegen von der Universität Marburg allein am 2.

März zwischen 13.45 und 17.45 Uhr 15 695 Kraniche in 121 Zugverbänden

gezählt. Wegen des starken Windes flogen sie ungewöhnlich hoch:

In einer Höhe von fast 2000 Metern herrschten offenbar bessere Zugbedingungen.

Am Nachmittag des 5. März überflogen 13 072 Kraniche in 139 Keilen

den Himmel über der Marburger Region wie gewohnt niedriger, in einigen

hundert Metern.

Auch die ersten kleineren

Vögel sind eingetroffen. Die Singdrosseln etwa, die sich im Herbst

in den Mittelmeerraum abgesetzt hatten, lassen seit Ende Februar ihren

schönen klaren Gesang von erhöhter Warte hören. Damit übertönen

sie mancherorts die melodischen Strophen der im Winter nicht fortgezogenen

Amselhähne (Schwarzdrosseln). In der ersten Märzhälfte füllen

sich die Reihen der hier gebliebenen Singvögel wie Buchfink, Haussperling,

Kohl-, Blau- und Tannenmeise weiter auf.

Der frühe Vogel

Der Zilpzalp (Weidenlaubsänger),

der seinen volkstümlichen Namen seinem kurzen zweisilbigen Ruf verdankt,

bildet die Vorhut der grasmückenartigen Sänger. Schon Anfang

März singen die Männchen unermüdlich ihr einfaches Lied,

mit Vorliebe in der Krone eines Baumes. Zur Familie der Zweigsänger

(Sylviidae) zählen neben den anderen Laubsängern wie Fitis, Waldlaubsänger

und Berglaubsänger die Mönchsgrasmücke, die Gartengrasmücke,

die Dorngrasmücke, die Zaungrasmücke und die große Sperbergrasmücke,

des weiteren der Gelbspötter, mehrere Rohrsängerarten (Drosselrohr-,

Teich-, Schilf-, Sumpf- sowie der seltene Seggenrohrsänger) und schließlich

der Feldschwirl, der Rohrschwirl und der Schlagschwirl. Sie alle sind Insektenfresser.

Einige treffen von Ende März

an, die meisten im April, manche erst im Mai aus ihren vorwiegend afrikanischen

Winterquartieren bei uns ein. Unter den Höhlenbrütern haben die

früheren Ankömmlinge die besseren Chancen, einen geeigneten Nistplatz

zu finden. Und wenn sich früh warmes Wetter einstellt, finden diejenigen,

die früh mit der Brut beginnen, genügend Nahrung für ihre

Jungen und können sogar ein zweites oder drittes Mal erfolgreich brüten.

Intensivgesang beim Sturzflug

Zu den ersten Frühlingsboten

gehören Star, Bachstelze, Hausrotschwanz und Goldammer, die schon

seit Anfang März das Vogelkonzert bereichern. In der Kühkopfaue

am Rhein zum Beispiel lässt das Weißsternige Blaukehlchen zeitig

im März sein motivreiches Lied aus Schilf und Unterholz, manchmal

sogar während eines kurzen Balzfluges erklingen.

Nur als Durchzügler

ist ein enger Verwandter, das Rotsternige Blaukehlchen, bei uns zu sehen.

Es brütet in Skandinavien, wo es die nordischen Mittsommernächte

mit seinem herrlichen Gesang erfüllt. Zu den ganz frühen Heimkehrern

gehört auch die Feld- und die Heidelerche. Beide Arten, die während

ihrer Steil- und Sturzflüge über ihren Brutrevieren besonders

intensiv singen, nehmen als Folge der intensiven Landwirtschaft stark ab.

Der Brutschmarotzer kommt

aus Südwestafrika

Meist kommen die Vögel

in der Nacht. Die einen muss man sehen, da sie keine großen Sangeskünstler

sind, wie etwa den Neuntöter, der im Mai bei uns eintrifft. Nachtigall,

Sprosser, Pirol, Mauersegler, ebenfalls Spätheimkehrer, sind nicht

zu überhören. Der Kuckuck, der im südwestlichen Afrika überwintert,

überquert als Einzelflieger die Sahara und richtet sich mit seinem

Ankunfttermin nach dem der meisten seiner Wirtsvögel, in deren Nest

er als Brutschmarotzer sein Ei legt. Sein charakteristischer Ruf ist selten

vor Mai bei uns zu hören, denn er nutzt überwiegend die Nester

von Insekten fressenden und daher spät heimkehrenden Singvögeln.

Wie viele spät ankommende Zugvögel verlässt er auch wieder

früh seine Sommerresidenz.

Viele Zugvögel halten

sich nur drei oder vier Monate bei uns auf. Zu ihnen gehört auch der

geheimnisvolle Ziegenmelker. Die Nachtschwalbe fliegt aus dem südlichen

Afrika nach Europa, um hier ihre zwei gut getarnten Eier auf dem Wald-

oder Heideboden auszubrüten und macht sich nach dem Aufziehen der

Jungen sofort wieder auf den weiten Rückweg.

Überraschungen im Inland

Neben den Schwalben, Schnäppern,

Piepern, Schmätzern, Ammern, dem Wendehals, dem Wiedehopf und den

vielen weiteren Singvogelarten gehören auch etliche große Vögel

zu den Weitziehern aus Afrika. Der Schwarzstorch, ein heimlicher Waldbewohner,

von dem es in Deutschland nun schon einige hundert Paare gibt, ist seit

Ende Februar da. Die ersten Weißstörche sind in diesem Jahr

bereits vor dem 1. März auf ihren Horsten gelandet, zum Beispiel in

Sachsen-Anhalt.

Die meisten treffen aber

erst im April in Deutschland ein, wenn nicht schlechtes Wetter in der Türkei

die „Ostzieher“ bis in den Mai aufhält und damit eine erfolgreiche

Brut vieler Paare verhindert. Unter den Greifvögeln sind Fischadler

und Milane die ersten Heimkehrer, gefolgt von Rohr-, Wiesen- und Kornweihe;

erst spät folgen Wespenbussard und Baumfalke. Unter den vielen Arten

der Schnepfenvögel gehören der Kiebitz und die Waldschnepfe zur

Vorhut im März. An den Meeresküsten gehört der Frühjahrsvogelzug

bis in den Juni zu den eindrucksvollsten ornithologischen Erlebnissen.

Aber auch im Binnenland sorgt

eine Reihe von heimkehrenden Vögeln, die nicht zu den Sängern

zählen, im Frühjahr für manche Überraschung. Vor allem

zwei Arten, die selten zu sehen, dafür aber an ihren auffälligen

Rufen zu erkennen sind: der zu den Rallen zählende Wachtelkönig

(nach seinem Ruf „Crex crex“ benannt) und die Wachtel. Dieser nur drosselgroße

Hühnervogel, früher weit verbreitet, heute aber vielerorts Opfer

der modernen Feldbewirtschaftung, kommt als Nachtzieher aus Afrika erst

im Mai in Deutschland an und lässt dann seinen hellen Wachtelschlag

ertönen, der meistens nur spät abends oder nachts zur Geltung

kommt.

 

Mail  
Scroll to Top