RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
FAZ

online 02.03.07

Klimawandel – Wissen wir

genug?

Von Hartmut Grassl und Martin

Claußen

Wie reagiert die Menschheit

auf globale Klimaänderungen?

Die nächste totale Sonnenfinsternis

auf die Sekunde genau für einen bestimmten Ort im 21. Jahrhundert

vorherzusagen, gelingt seit langem. Aber zu bestimmen, ob der nächste

Winter in Mitteleuropa warm wird oder eher kalt, ist im Oktober 2007 schon

an der Grenze des Machbaren. Warum ist es dann gelungen, bei vorgegebenem

Verhalten der Menschheit die Klimaänderungen auf der Erde bis mindestens

2100 vorherzusagen?

Erstens, weil uns physikalische

Grundgesetze aus Thermodynamik, Dynamik, Elektrodynamik und Quantenmechanik

leiten. Zweitens, weil nicht Wetter an einem Ort, sondern Klima – also

die Statistik des Wetters – einer großen Region die Vorhersagegröße

ist. Und weil drittens das Vorhersageintervall von nur einem Jahrhundert

klein ist gegenüber der Zeitspanne mit wesentlichen Änderungen

der trägen Teile. Letzteres gilt sicherlich auch für das Erdsystem,

die Kontinentaldrift, die Umwälzung ganzer Eisschilde an den Polen

und auch noch des globalen Ozeans. Aber auch die Sonnenaktivität und

die Schwankungen ihres Energieflusses zu uns sind wesentlich kleiner als

die Effekte der von uns veränderten Zusammensetzung der Atmosphäre.

Fortschritte in den letzten

20 Jahren

Die Klimaforschung ist in

den letzten zwanzig Jahren rasch vorangekommen. Anfang 1987 stellte die

Deutsche Meteorologische Gesellschaft gemeinsam mit der Deutschen Physikalischen

Gesellschaft die Broschüre „Warnung vor globalen Klimaänderungen

durch den Menschen“ vor. Damals waren Hochrechnungen mit globalen Modellen

verfügbar, die oft nur die Atmosphäre ohne einen angekoppelten

strömenden Ozean beschrieben. Aussagen zum Einfluss des Menschen auf

das Klima waren eher „begründete Vermutungen“. Heute konstatiert der

Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) eine

„sehr hohe Gewissheit“, dass der Mensch hinter den beobachteten Klimaänderungen

steckt.

Mit dem systematischen Zuwachs

an Wissen sind auch neue Fragen aufgetaucht. Können wir klimatische

Anomalien vorhersehen, um uns optimal an die Klimaänderungen der nächsten

Jahrzehnte anzupassen? Bei welchen Temperatur- und Niederschlagsänderungen

werden Wälder und Permafrostgebiete zu starken zusätzlichen Kohlendioxidquellen?

Welche mittlere globale Erwärmung setzt das Abschmelzen von großen

Teilen des grönländischen Inlandeises in Gang und wie rasch kann

das Abschmelzen passieren? Gibt es noch unbekannte Rückkopplungseffekte,

die für Klimaüberraschungen sorgen?

Veränderte Klimaschutzpolitik

herleiten

Die zentrale Frage lautet:

Wie reagiert die Menschheit auf globale Klimaänderungen? Das heißt,

welches Emissionsszenario ist das wahrscheinlichste? Die neuen Herausforderungen

können nicht mit kleinen Forschungsprogrammen einzelner Länder

so weit beantwortet werden, dass damit eine veränderte Klimaschutzpolitik

hergeleitet werden könnte. Ein globales Multibillionenproblem braucht

global koordinierte Forschung mit Multimilliardeneinsatz. Aber auch bei

intensivierter Forschung wird immer vorsorgend gehandelt werden müssen,

denn das volle Verständnis kann angesichts der komplexen Vorgänge

auf unserer Erde auch ein verstärktes Forschen nicht bringen; wir

können jedoch das Vorhersageintervall bei vorgegebener Wahrscheinlichkeit

ausweiten und damit intelligenter politisch entscheiden.

Die Politik sollte die zum

Teil schon recht gut untermauerten und bewerteten Aussagen der Klimaforscher

mindestens so ernst nehmen wie die Prognosen der Wirtschaftsentwicklung

durch Wirtschaftswissenschaftler. Diese gehen mit einem ebenfalls komplexen

Teilbereich um, haben aber die vollen Kosten der Nutzung endlicher und

erneuerbarer Ressourcen in ihre Gesamtrechnung noch nicht integriert. Eine

blühende Wirtschaft für unsere Kinder wird entscheidend von der

global koordinierten Klimaschutzpolitik und damit der Klimaforschung abhängen.

 

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