RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 08.03.07

RADARMESSUNGEN

Monsterwellen bedrohen

Schiffe im Nordatlantik

Von Axel Bojanowski

Die Schiffsrouten im Nordatlantik

sind viel stärker von Monsterwellen bedroht als bisher vermutet. Einer

Studie zufolge, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, kommen die Riesenbrecher im

Nordatlantik weltweit am häufigsten vor. Auch die Nordsee bleibt nicht

von ihnen verschont.

Noch vor wenigen Jahren galten

sie als Seemannsgarn: Riesenhafte Brecher, die sich 30, manchmal 40 Meter

hoch auftürmen und selbst große Schiffe wie Spielzeug zerschmettern

können. Doch in den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler damit

begonnen, die Giganten systematisch zu jagen – und sind reichlich fündig

geworden. Satellitenmessungen haben ergeben, dass Monsterwellen nicht einmal

selten sind, sondern auf den Weltmeeren beinahe täglich vorkommen.

Signifikante Wellenhöhen

(Im Zeitraum zwischen September 1998 und November 2000): Die signifikante

Wellenhöhe ist der Mittelwert des oberen Drittels der Wellen. Sie

entspricht in etwa der Seegangshöhe, die erfahrene Seeleute mit bloßem

Auge schätzen. Klicken Sie auf die Grafik für weitere Details

Eine bisher unveröffentlichte

Studie, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, liefert nun die bislang gründlichste

globale Analyse von Monsterwellen. Das Ergebnis: Im Durchschnitt erheben

sich pro Woche zwei bis drei extrem hohe Wasserwände aus dem Meer.

Das haben Wissenschaftler um Susanne Lehner vom Deutschen Zentrum für

Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Hilfe von Radarsatelliten herausgefunden.

Sie werden ihre Daten Ende April auf einer Tagung in der Schweiz vorstellen.

Lehner und ihre Kollegen

haben die Meere zwei Jahre lang mit Radarsatelliten abgetastet, die ihren

Abstand zur Erdoberfläche zentimetergenau bestimmen können. “Wir

beobachteten weltweit zwei bis drei Extremwellen pro Woche”, sagte Lehner

im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Im Nordatlantik treten Monsterwellen

demnach am häufigsten auf. So war es offenbar kein Zufall, dass im

Februar 2000 ein Forschungsschiff vor der Westküste Schottlands Serien

von Riesenbrechern dokumentierte. Der Nordatlantik erweist sich – ähnlich

wie der Nordpazifik – als ideale Brutstätte für große Wogen,

sagt Lehner.

Golfstrom fördert Entstehung

von Kaventsmännern

Mehrere Faktoren förderten

dort die Entstehung von Monsterwellen: Die Kaventsmänner erheben sich,

wenn eine hohe Woge eine zweite von ähnlicher Wellenlänge einholt

und sich mit ihr zu einem Brecher vereint. Im Nordatlantik treffen Wellenfelder

aus unterschiedlichen Richtungen aufeinander. In derartiger “Kreuzsee”

schaukeln sich Wellen zu beträchtlicher Größe auf. Der

Golfstrom fokussiere die Brecher, die dadurch noch höher würden,

erklärt Lehner.

Im vergleichsweise kleinen

Meeresbecken des Nordatlantiks erreichen Wellen keine große Wellenlänge.

Das macht sie besonders gefährlich für große Schiffe, die

solche Wellen weder hinauf- noch hinabgleiten können. Stattdessen

werden sie durchgeschüttelt wie ein Fahrradfahrer, der über Wellblech

fährt – sie werden von einem Wellenberg zum nächsten geworfen.

Die neuen Erkenntnisse könnten

unter anderem Schiffsbauer in Bedrängnis bringen. Die Konstrukteure

haben die Gefahr von Monsterwellen bisher ignoriert, meint etwa der renommierte

Schiffsingenieur Douglas Faulkner. Die meisten Schiffe seien auf Wellen

großer Höhe nicht vorbereitet.

Monsterwellen könnten

auch bislang rätselhafte Schiffsunfälle erklären: Laut Faulkner

ist ein Viertel aller Unglücke auf See bis heute nicht aufgeklärt.

Ein Drittel der Schiffsunfälle wird zudem “schlechtem Wetter” zugeschrieben

– die genauen Ursachen blieben häufig unbekannt. Auf schlechtes Wetter,

also hohe See und Sturm, müssten Schiffe eingestellt sein, betont

der Experte.

Auch Kreuzfahrtschiffe gefährdet

Auch Kreuzfahrtschiffe sind

in Gefahr. Am 22. Februar 2001 wurde die “Bremen” von einer 35-Meter-Welle

schwer beschädigt; Wasser stürzte durch die zerplatzten Fenster,

die Maschinen fielen aus. Das Kreuzfahrtschiff lag eine halbe Stunde manövrierunfähig

im Südatlantik. Die 137 Passagiere wären möglicherweise

verloren gewesen, wäre es nicht geglückt, den Hilfsmotor anzuwerfen.

Seither häufen sich

die Berichte über Monsterwellen. Alleine 2005 wurden neun Extremwogen

eindeutig nachgewiesen, berichteten Forscher um Irina Didenkulova von der

Russischen Akademie der Wissenschaften im Dezember im Fachblatt “Natural

Hazards and Earth System Sciences” (Band 6, Seite 1007, 2006). Drei trafen

Passagierschiffe, beschädigten sie teils schwer und verletzten 26

Personen.

Am 27. Januar 2005 krachte

ein 15-Meter-Brecher im Nordpazifik auf die “Explorer”, die 650 Studenten

an Bord hatte. Am 14. Februar 2005 traf es die “Voyager” im Mittelmeer

nahe der Insel Menorca. Und am 16. April 2005 kollidierte das 300 Meter

lange Kreuzfahrtschiff “Norwegian Dawn” im Atlantik nahe Florida mit einer

mindestens 21 Meter hohen Welle. Auch der Untergang des Tankers “Prestige”

im Herbst 2002, der eine Ölpest an der europäischen Atlantikküste

auslöste, wird inzwischen auf eine Monsterwellen-Attacke zurückgeführt.

Monsterwellen auch in der

Nordsee

Im Nordatlantik lassen starke

Stürme im Winter hohe Wellen entstehen, sagt DLR-Forscherin Lehner.

Erst vor wenigen Wochen hatte der französische Ozeanforscher Julien

Toubou im Fachblatt “Natural Hazards and Earth System Sciences” (Band 7,

Seite 123, 2007) gezeigt, dass heftiger Wind die Lebensdauer einer Monsterwelle

erheblich verlängern kann.

Die Riesen kommen offenbar

sogar in der Nordsee vor. Das Randmeer des Atlantiks galt bisher als monsterwellenfreie

Zone: Zu klein erschien es Experten, um von Wogen gewaltiger Höhen

heimgesucht zu werden. Doch das war offenbar ein Irrtum: In einem Sturm

am 1. November vergangenen Jahres zerstörte eine Welle ein 15 Meter

hoch gelegenes Deck der Forschungsplattform “Fino” 45 Kilometer nördlich

von Borkum.

Gundula Fischer, Projektleiterin

der Plattform, bestätigte SPIEGEL ONLINE den Zwischenfall. Der Brecher

sei wenigstens 20 Meter, vermutlich sogar 25 Meter hoch gewesen, erklärte

Wolfgang Rosenthal Wellenforscher vom GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht.

“So eine Welle hätte ich noch vor wenigen Jahren in der Nordsee nicht

für möglich gehalten.”

Satelliten sollen Gefahrengebiete

identifizieren

Die Ergebnisse des internationalen

Projektes MaxWave zur Untersuchung der Monsterwellen-Entstehung hätten

bereits 2004 nahe gelegt, dass extrem hohe Wellen weitaus häufiger

vorkommen als gedacht. Rosenthal und Kollegen war es wider Erwarten im

Wellenkanal gelungen, bei unterschiedlichen Strömungen und Wellenbedingungen

Kaventsmänner zu erzeugen. Zudem wurden im Rahmen von MaxWave mit

Radarsatelliten und Messungen auf See diverse Extremwellen geortet.

Die Forscher hoffen, in einigen

Jahren mit Radarsatelliten und Wetterdaten rechtzeitig Gebiete erkennen

zu können, in denen Monsterwellen drohen. Gleichwohl müssten

Schiffe sicherer gebaut werden, fordert Ingenieur Faulkner. Häfen

sollten die Sicherheitsstandards erhöhen. Schiffe, die gegen Monsterwellen

nicht gewappnet sind, sollten künftig abgewiesen werden.

 

Mail  
Scroll to Top