RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 23.04.07

BANGLADESCH

In der Todeszone des

Klimawandels

Aus Char Bangla berichtet

Matthias Gebauer

Der Klimawandel treibt die

Meerespegel in die Höhe – und bedroht damit den Lebensraum von Millionen

Menschen. Bangladeschs bettelarme Bevölkerung ist akut bedroht, viele

Hütten liegen nur Zentimeter über der Flutkante. Sie ahnen nichts

von der Gefahr durch die anschwellenden Ozeane.

Shahidul Mullah hat eigentlich

keine Zeit. Mit Freunden von der Insel Char Bangla hockt er auf einem Dach-Skelett

aus Bambusstäben, das den neuen Stall für die Hühner und

Kühe decken soll. Bald, das weiß er aus Erfahrung, wird der

Monsun kommen und die gesamte Insel überfluten. Bis dahin muss der

Stall fertig sein, vor allem das Dach aus Stroh.

Auf dem etwa einen Meter

hohen Lehmplateau, das den neuen Stall und die Hütte trägt, wird

Mullah mit seiner Familie wochenlang ausharren, bis die Flut zurückgeht.

Dann werden sie auf den mit fruchtbarem Schlamm überfluteten Feldern

wieder Chilis und Rüben anbauen. So war es immer, seit Shahidul Mullah

hier lebt. Er muss sich also beeilen.

Das Wort Klimawandel hat

Shahidul Mullah noch nie in seinem Leben gehört. Er hat weder Strom

noch einen Fernseher, noch kann er lesen. Während die Welt über

die globale Erwärmung mit dem prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels

debattiert, lebt der 32-jährige Farmer an der allerersten Frontlinie

des Klimawandels. Wie ein langer Finger streckt sich sein Char, Bengalisch

für Insel, tief hinein in den Bengalischen Golf. An ihm vorbei fließt

einer der 13 Flüsse, die Bangladesch zu einem riesigen Delta zwischen

den Gletschern des Himalajas und dem Golf machen. Nur 20 Meter vor ihm

schieben sich Wassermassen friedlich und glitzernd in Richtung des nahen

Ozeans.

Bangladesch ist eines der

dichtest besiedelten Länder der Welt: Auf weniger als der Hälfte

der Fläche Deutschlands leben mehr als 140 Millionen Menschen. Der

größte Teil des Landes besteht aus dem gewaltigen Mündungsdelta

der Flüsse Ganges, Brahmaputra und Meghna. Bangladesch ist in mehrfacher

Hinsicht von den Folgen des Klimawandels bedroht.

Weite Teile von Bangladesch

sind akut von Überschwemmungen bedroht: Schätzungen zufolge leben

rund zehn Millionen Einwohner in Regionen, die weniger als einen Meter

über dem Meeresspiegel liegen. Nach Angaben des Weltklimarats IPCC

wird Bangladesch bei einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter etwa

ein Fünftel seines Gebiets verlieren. Den IPCC-Prognosen zufolge wird

der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um 18 bis 59 Zentimeter steigen. Das

abschmelzende Festlandeis Grönlands ist darin allerdings noch nicht

enthalten.

Schon bei einem Anstieg von

nur 40 Zentimetern wird laut Uno die Zahl der Menschen, die jährlich

von Überflutungen betroffen sind, von heute 13 auf 94 Millionen steigen.

Einer Londoner Studie zufolge liegen zwei Drittel der weltgrößten

Metropolen in direkt vom Klimawandel bedrohten Gebieten.

Den Klimaprognosen zufolge

werden sich die Niederschlagsmengen in Bangladesch stark verändern.

Die Produktion von Reis könnte nach Angaben des Weltklimarats bis

2050 um zehn Prozent, die von Weizen um etwa ein Drittel zurückgehen,

was die Gefahr von Hungersnöten steigert. Durch das Abschmelzen der

Gletscher im Himalaja rechnen Wissenschaftler auch mit einer dramatischen

Verschlechterung der Trinkwasserversorgung in weiten Teilen Asiens. Schon

im Jahr 2035 könnten die Gletscher des Himalajas weitgehend verschwunden

sein. Die großen Flüsse der nordindischen Ebene – darunter der

Ganges, der Indus und der Brahmaputra – könnten im schlimmsten Fall

nur jahreszeitlich Wasser führen.

Höhere Temperaturen

fördern die Ausbreitung von Krankheitserregern und steigern die Giftigkeit

der Gewässer. In Bangladesh befürchten Mediziner für die

Zukunft eine stärkere Verbreitung der Cholera. Auch Durchfallerkrankungen

werden aller Voraussicht nach in Süd- und Südostasien künftig

mehr Todesopfer fordern.

Shahidul Mullahs Heimat,

das südliche Bangladesch, gehört zu den verletzlichsten Stellen

der Erde, wenn der Meeresspiegel steigt. “Selbst wenn die Menschen morgen

komplett mit dem Ausstoß von Kohlendioxid aufhören würden,

stünden schon bald große Teile des Südens unter Wasser”,

sagt der Klimaforscher Atiq Rahman. Rund zehn Millionen Menschen leben

in Gebieten Bangladeschs, die weniger als einen Meter über dem jetzigen

Meeresspiegel liegen. Hinzu kommen die Flussläufe, über die das

Meerwasser ins Landesinnere drängen kann. Die Insel von Shahidul Mullah

wird es schon bei einem Anstieg des durchschnittlichen Meeresspiegels um

wenige Zentimeter nicht mehr geben – und dieses Ausmaß gilt schon

jetzt als sicher.

Auch ohne Fernsehen und ohne

Zeitungen weiß Shahidul Mullah instinktiv, dass mit dem Wetter etwas

nicht stimmt. “Jedes Jahr wird es wärmer, jedes Jahr kommen mehr Stürme,

und der Monsun wird unpünktlich”, sagt der Familienvater. Jedes Jahr

stieg auch der Wasserspiegel vor seinem Haus ein wenig an. “Als ich hierhin

zog, hatten wir noch drei Felder vor dem Haus, nun sind es nur noch zwei”,

sagt der von der harten Arbeit gebeugte Mann. “Ich fürchte, dieses

Jahr wird mir das Wasser wieder ein Stück nehmen.” Die Plattform für

den kleinen Stall hat er vorsorglich schon einen halben Meter höher

bauen lassen. “Man weiß ja nie, was kommt.”

Dass es einen Klimawandel

gibt, wissen im Süden Bangladeschs nur wenige. Selbst der lokale Korrespondent

der “Daily Prothomalo”, mit einer Auflage von rund 300.000 Stück die

auflagenstärkste Zeitung in der Region, bezeichnet die Berichte über

die globale Erwärmung als “Gerüchte”. An seinem kleinen Transistor-Radio

hat Libtom, ein gepflegter, mit seiner Brille intellektuell wirkender Mittdreißiger,

etwas über einen Report gehört. Gemeint ist der aktuelle Sachstandsbericht

des Uno-Klimarats IPCC. “Wir versuchen gerade, mehr darüber herauszufinden”,

sagt Libtom. Verrücktes Wetter in der Region sei doch völlig

normal, meint er, die Menschen wüssten damit umzugehen. Ähnlich

geht die Regierung vor, die nun erstmals eine Arbeitsgruppe bildete, um

die IPCC-Studie zu prüfen.

Der Weg an die vorderste

Front des Klimawandels ist lang. Zwölf Stunden geht es mit einer der

überfüllten Fähren von der Hauptstadt Dhaka nach Patukali,

von dort quält sich ein vierradgetriebener Jeep stundenlang die wenigen

Kilometer nach Galachipa. Hier enden endgültig alle Straßen.

Angekommen im riesigen Flussdelta, einer zerrissenen Landschaft von länglichen

Inseln, kommt man in Richtung Golf nur noch mit dem Boot weiter. Zwei Stunden

rast unser Fahrer mit dem Speedboat durch die teils engen Kanäle.

Immer wieder öffnen sich kilometerbreite Flüsse, deren Wasser

braun wie Milchkaffee ist. Karten gibt es von dem Gebiet nicht, jeder im

Boot hat für die Flüsse andere Namen.

Immer wieder halten wir,

da Hunderte Flusskühe die Ufer wechseln. Riesige Vogelschwärme

ziehen über den dichten Wald hinweg. Überall dümpeln Fischerboote,

kleine Nussschalen aus Holz. Meist waten die ausgemergelten Männer

mit ihren kleinen Netzen auf der Suche nach Essbarem durch die Fluten,

manchmal haben sie Netze an Holzpfählen montiert. Was wie ein Natur-Paradies

aussieht, ist keineswegs menschenleer. Im Durchschnitt leben in Bangladesch

rund 1000 Einwohner auf jedem Quadratkilometer. Auf 40 Prozent der Fläche

Deutschlands leben in dem überfüllten Land rund 150 Millionen

Menschen.

Shahidul Mullah ist vor 15

Jahren nach Char Bangla gekommen. “Ich hatte kein Land, hier fanden wir

Platz zum Leben”, sagt er. Erbarmungslos brennt die Mittagssonne auf ihn

und die anderen Dorfbewohner hinab. Es ist ein einfaches Leben, das die

Menschen hier führen. Sie passten sich an das extreme Wetter an. “Von

den Alten lernten wir, dass es Anfang Mai so kräftig regnet, dass

die Inseln bis zum Juni komplett unter Wasser stehen”, sagt Shahidul Mullah.

Folglich baute er seine Hütte auf einem Plateau und pflanzte in der

Regenzeit Reis an. Geht das Wasser zurück, sät er auf dem Boden

andere Pflanzen.

Das an der extremen Natur

austarierte System bestimmt den ganzen Landstrich. Und auch wenn die einfachen

Bauern noch nie etwas von Klimagasen, der Ozonschicht oder ähnlichem

gehört haben, haben sie eine eigene Philosophie vom Leben. “Das Wasser

war schon immer ein Feind für uns, aber auch eine Quelle des Lebens”,

sagt Shahidul Mullah. Nun aber veränderten sich die Wassermassen.

“Das Wasser nimmt mir nur noch Land, es gibt mir kaum noch etwas zurück.”

Wer an der Veränderung Schuld ist, weiß er nicht. Aus seiner

Sicht kann so etwas nur Allah bewegen.

Klimawandel wirft gewohntes

Leben aus der Bahn

Mit den mühsam erwirtschafteten

Erträgen des an der Natur angelehnten Arbeitens konnten die Bauern

bisher gerade ihre Familien ernähren. Jeden Tag reicht es für

eine Schale Dal, einem gelblichen Brei aus Linsen und Zwiebeln, und ein

wenig Reis. Einmal pro Woche kommt ein Stück Fleisch hinzu oder einer

der gefangenen Fische. Am Abend gibt es für den müden Vater ein

oder zwei Pakete Paan, eine in ein grünes Blatt gehüllte Mixtur

aus Muskatnuss und Kalk. Die lokale Droge, die Shahidul Mullahs Zähne

blutrot gefärbt hat, beruhigt. Außerdem vergesse man die Sorgen,

sagt er. Wie auf Knopfdruck grinsen seine Freunde und zeigen ihre ebenso

roten Gebisse.

Mit dem Klimawandel aber

gerät Shahidul Mullahs Leben aus den Fugen. Immer häufiger gibt

es schwere Wirbelstürme, sagt der Farmer, auch in diesem Jahr erlebte

er schon vor der Monsun-Zeit einen heftigen Zyklon. Wetterforscher registrieren

in der Tat in den vergangenen Jahren einen Anstieg der Wirbelstürme,

die statt sonst alle 20 Jahre nun alle fünf Jahre auftreten. Diese

Forschung kennt Shahidul Mullah nicht. Ihm bleibt nur übrig, jeden

Abend zu beten, dass am nächsten Morgen kein Sturm heraufzieht. Die

Furcht davor ist Teil seines Lebens geworden.

Keine Alternative zum Warten

Gerade aber hat Shahidul

Mullah andere Sorgen. Vor zwölf Tagen hat seine Frau Alea Becum die

kärgliche Behausung mit den drei Kindern verlassen. Sie wollte zu

einem Arzt, doch bis heute ist sie nicht zurück, denn nur selten kommt

eine der Fähren an der Insel vorbei. Der Vater hofft nur, dass sie

vor dem Monsun wiederkommt. Wenn nicht, muss er die nasse Zeit ohne seine

Familie verbringen. Gehört hat er nichts von seiner Familie, schließlich

gibt es auf seiner Insel keinen Strom, von der Existenz des Telefons hat

der Farmer bisher nur gehört. Also wartet er weiter, vielleicht kommt

seine Frau ja heute noch.

Alternativen zum Warten auf

die Klima-Katastrophe haben die Bewohner des Südens kaum. Shahidul

Mullah wünscht sich, dass wenigstens seine Kinder einmal woanders

wohnen können. Doch ihre Chancen sind gering. Die kleine Schule, die

eine Hilfsorganisation auf der Insel aufgebaut hat, ist nur während

der trockenen Monate offen. Für eine echte Ausbildung reicht das nicht,

für ein Leben in der Hauptstadt Dhaka erst recht nicht. “Wir haben

keine Zukunft, wir können nur auf bessere Tage hoffen”, sagt der Vater

und macht sich wieder an die Arbeit am Dach. Nur Gott könne ihnen

aus der Situation heraushelfen und das Wetter im Zaum halten.

Dafür will Shahidul

Mullah später am Abend beten.

 

Mail  
Scroll to Top