RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 04.05.07

KLIMA-THERAPIE

Rettung der Erde kostet

nur ein Tausendstel der Weltwirtschaftsleistung

Die schlimmsten Folgen des

Klimawandels lassen sich abwenden – wenn die Menschheit schnell handelt.

Das würde 0,1 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts kosten, stellt

der Weltklimarat in seinem jüngsten Bericht fest. Aber schon bis 2015

müsse der CO2-Anstieg gestoppt werden.

Bangkok – Nicht die Kosten

sind das Problem. Die Zeit ist es. Der Klimarat der Uno mahnt einen strikten

Zeitplan an, um die schlimmsten Folgen der globalen Erwärmung abzuwenden.

“Mitigation of Climate Change” heißt das Dokument, das gerade in

der thailändischen Hauptstadt Bangkok vorgestellt wird – Abschwächung

des Klimawandels.

Als Ziel dafür geben

die Klimaexperten vor: Bis 2050 müsse der Kohlendioxid-Ausstoß

um 50 bis 85 Prozent gesenkt werden. Dazu müssten die weltweiten CO2-Emissionen

bereits im Jahr 2015 sinken. So werde sich die durchschnittliche globale

Erwärmung bis zum Jahr 2100 wohl auf zwei Grad Celsius begrenzen lassen.

Die Kosten dafür würden 0,12 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts

betragen – trotz der kleinen Prozentzahl immer noch eine Riesensumme. Doch

in mitigation zu investieren, so der Weltklimarat, lohne sich.

Auch mit Besänftigung,

Entschärfung, Linderung kann man mitigation übersetzen. Tatsächlich

haben die beiden bisherigen Teilberichte des Intergovernmental Panel on

Climate Change (IPCC) gezeigt: Die Erkenntnisse über den Beitrag des

Menschen zur globalen Erwärmung sind mittlerweile sehr belastbar.

Dass es einen menschengemachten Treibhauseffekt gibt, wird praktisch nicht

mehr angezweifelt. Der erste IPCC-Teilbericht, der im Februar in Paris

veröffentlicht wurde, fasste die wissenschaftliche Basis der Klimaforschung

zusammen. Der zweite Teil, den der Weltklimarat vor Ostern in Brüssel

veröffentlichte, beschrieb die Folgen – einige sind bereits heute

sichtbar.

Kurzfristige Maßnahmen:

Sparen und umsteigen

Teil drei, der heute in Bangkok

vorgestellt wird, enthält nun den gegenwärtigen Wissensstand

der Menschheit zur Frage, wie man die schlimmsten Folgen abwenden kann.

Dabei unterscheiden sie zwischen kurzfristigen Maßnahmen (bis zum

Jahr 2030) und langfristigen. Vorgeschlagen werden als schnelle Lösungen

vor allem der Einsatz von Biokraftstoffen, erneuerbarer Energiequellen

und größerer Energieeffizienz.

Der Flensburger Klimaforscher

Olav Hohmeyer fasst in einem Interview mit der deutschen Presseagentur

die Aussagen des dritten Teilberichts so zusammen: “Erstens: Wir haben

nicht mehr viel Zeit zum Handeln, die Reduktionsziele für den Treibhausgasausstoß

müssen ehrgeiziger sein. Zweitens: Wir haben alle Technologien, die

wir dafür brauchen, das Problem nachhaltig anzufassen. Drittens: Wir

müssen handeln und dürfen keine zehn Jahre mehr warten. Viertens:

Die Handlungsmöglichkeiten sind preiswert.”

Die Delegierten mussten sich

im Lauf der vergangenen Woche durch insgesamt 140 Seiten mit fast 1000

Änderungs- und Ergänzungsvorschlägen arbeiten, bevor die

endgültige Version ihres Berichts feststand. Die politisch wichtige

summary for policy makers, die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger,

umfasst 35 Seiten.

Politischer Einfluss

Dabei hat offenbar vor allem

China versucht, Einfluss auf einige Kernaussagen zu nehmen. Nach Aussagen

von Delegationsmitgliedern, die am frühen Morgen die Verhandlungen

verließen, ist dies aber nicht oder nur zum Teil geglückt.

ESA 2004

Das Intergovernmental Panel

on Climate Change, zu Deutsch der zwischenstaatliche Ausschuss für

Klimaveränderungen mit Sitz in Genf, wurde 1988 vom Umweltprogramm

der Vereinten Nationen (Unep) und der World Meteorological Organization

(WMO) gegründet, die ebenfalls zur Uno gehört. Der Inder Rajendra

Kumar Pachauri ist seit Mai 2002 Vorsitzender des IPCC.

Das auch als Weltklimarat

bezeichnete IPCC soll umfassend, objektiv und ergebnisoffen die wissenschaftlichen,

technischen und sozioökonomischen Informationen über den von

Menschen verursachten Klimawandel bewerten. Das Gremium, dem Hunderte von

Wissenschaftlern in aller Welt zuarbeiten, soll die Folgen und Risiken

der Klimaveränderung abschätzen und ausloten, wie man sie abschwächen

oder sich an sie anpassen kann.

Der IPCC führt keine

eigenen Forschungsprojekte durch, analysiert die Ergebnisse wissenschaftlicher

Veröffentlichungen, die dem Peer-Review-Verfahren – der Prüfung

von Fachartikeln durch unabhängige Gutachter – gefolgt sind.

Das IPCC hat bisher 1990,

1995 und 2001 Berichte über den Stand der Klimaforschung abgegeben.

Am 2. Februar wird der erste Teil des neuen Reports vorgestellt, die Teile

zwei und drei werden im Laufe des Jahres folgen.

An dem Bericht sind drei

Arbeitsgruppen beteiligt: Arbeitsgruppe I stellt den Stand der Klimaforschung

dar, fasst Daten und Computersimulationen zusammen und trifft Aussagen

über die künftige Entwicklung. Arbeitsgruppe II berichtet über

die möglichen Folgen der Erwärmung für Mensch und Umwelt,

Arbeitsgruppe III über mögliche Gegenmaßnahmen.

Im ersten Klimareport des

IPCC von 1990 war noch von einem natürlichen Treibhauseffekt die Rede,

der von Emissionen des Menschen verstärkt werde. Der Report von 2001

ging wesentlich weiter: Er besagte, dass die Treibhausgas-Emissionen des

Menschen für den größten Teil der Erwärmung verantwortlich

sind. Auch Computersimulationen, die zur Prognose der zukünftigen

Entwicklung eingesetzt werden, räumte das IPCC 2001 steigende Glaubwürdigkeit

ein. Beides brachte dem Klimarat teils harsche Kritik von Regierungen und

Industrievertretern ein.

Der IPCC-Report von 2001

sagte voraus, dass die Temperatur an der Erdoberfläche im globalen

Schnitt bis 2100 um 1,4 bis 5,8 Grad steigen werde. Experten gehen inzwischen

davon aus, dass eine Erwärmung von weniger als zwei Grad zwar zu einer

deutlichen Zunahme von extremen Wetterphänomenen führen, insgesamt

aber noch beherrschbar sein wird. Bei einer Erwärmung von deutlich

mehr als zwei Grad werden katastrophale Folgen befürchtet.

Der IPCC-Report von 2007

basiert auf Hunderten Modellrechnungen, ausgefeilten Computermodellen,

zahllosen Studien und Messreihen. 450 Hauptautoren liefern die bisher genaueste

Beschreibung dessen, was die Temperatur der Atmosphäre etwa seit dem

Jahr 1800 in die Höhe treibt. An dieser vierten Studie des IPCC haben

2500 Experten sechs Jahre gearbeitet.

In der Zusammenfassung des

Reports ist von einem Anstieg der Temperaturen in den nächsten 30

Jahren um rund 0,7 Grad Celsius die Rede. Bis 2100 könnte die Temperatur

gar um bis zu 6,4 Grad steigen – abhängig von der Menge der freigesetzten

Treibhausgase.

Die stärksten Temperaturerhöhungen

erwarten die Forscher in den hohen nördlichen Breitengraden. In der

Arktis sind bereits jetzt dramatische Folgen des Klimawandels zu beobachten.

Weniger betroffen sind hingegen die südlichen Ozeane sowie der Nordatlantik.

Forscher Hohmeyer ist dennoch

nicht ganz mit der nun verabschiedeten Konsensfassung zufrieden: Die mangelnde

Nachhaltigkeit vorgeschlagener Lösungsansätze wie der Kernenergie

oder der CO2-Abscheidung im Untergrund sei nicht ausreichend berücksichtigt

worden.

Staaten wie die USA oder

Frankreich sehen die Kernenergie als klimafreundliche Alternative. Viele

Forscher sind wegen der problematischen Ökobilanz dieser Technologie

jedoch skeptisch. Am gestrigen Donnerstag hatte Bundesforschungsministerin

Schavan (CDU) bei einer Klimakonferenz in Hamburg gesagt, die Kernkraft

sei eine Brückentechnologie, bis ausreichend erneuerbare Technologien

und Energieeffizienz zur Verfügung stünden.

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Deutschland soll nach Schavans

Bekunden ein Musterland für den Klimaschutz werden. “Wir brauchen

jetzt einen Schub”, sagte sie. Dabei erneuerte sie die Zusagen, in den

kommenden drei Jahren 255 Millionen Euro für die Forschung zum Klimawandel

zur Verfügung zu stellen. Bis Mitte Oktober will Schavan zudem eine

nationale High-Tech-Strategie zum Klimaschutz vorlegen.

Nach der Veröffentlichung

des dritten Teils wird im November im spanischen Valencia das Gesamtdokument

verabschiedet. Es handelt sich bei den Arbeiten des Jahres 2007 um den

insgesamt vierten Bericht des IPCC. Er wird die Grundlage für die

Verhandlungen über das Vorgehen nach dem 2012 auslaufenden Kyoto-Protokoll

sein. Sie beginnen Ende des Jahres in Bali.

 

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