RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Süddeutsche

online 25.02.07

Klimaschutz

“Noch sind wir zu retten”

– Interview mit Jeffrey Sachs

» Es geht mir nicht

darum, die Moralkeule zu schwingen. Ich will nur sagen, dass ein paar ganz

praktische Dinge getan werden müssen, denn unsere Lage ist nicht gerade

gut; und sie verschlechtert sich von Tag zu Tag. « Jeffrey Sachs.

SZ: Die klassische Stammtischfrage,

die Politiker in diesem Zusammenhang gern stellen: Warum müssen wir

eigentlich helfen?

Ganz einfach: Weil Europa

einen hungernden und instabilen Kontinent vor der Haustür hat, auf

dem heute 800 Millionen Menschen leben und voraussichtlich bald 1,8 Milliarden.

Hunger hemmt die demographische Entwicklung nur minimal. Alles, was Afrika

momentan auszeichnet, ist die dramatische Verbreitung von Infektionskrankheiten,

die Konflikte am Horn von Afrika, die Migration – all das wird früher

oder später auch die Stabilität Europas gefährden, wenn

sich niemand darum kümmert.

SZ: Wie kann so etwas Europa

gefährden?

Gegenfrage: Wie kommt man

eigentlich darauf, dass das Pulverfass am Horn von Afrika, dass die Konflikte

in und zwischen Ländern wie Eritrea, Äthiopien, Somalia, Sudan

und Tschad, nichts mit uns zu tun haben? Wie viele Menschen ertrinken auf

dem Weg nach Europa im Mittelmeer? Wie viele überleben und werden

illegale Migranten? Irgendwann muss jemand Alarm schlagen und sagen: Das

alles geht uns unmittelbar an!

SZ: Europa und Amerika tendieren

in Fragen der Entwicklungshilfe zurzeit zu einer eher konservativen Politik.

Hilfe soll es nur dann geben, wenn klar geregelt ist, wer im jeweiligen

Land die Verantwortung trägt. Halten Sie das für falsch oder

vernünftig?

Sie ist vernünftig,

aber im Fall von instabilen Regionen, in denen geholfen werden muss, leider

völlig unbrauchbar. Sie können doch nicht einfach nur mit der

Zunge schnalzen und darauf hinweisen, dass die Lage leider nicht stabil

genug ist, um zu helfen. Die Frage ist nicht, ob verarmte, instabile Gegenden

gut regiert werden, denn üblicherweise werden sie das nicht. Die Frage

ist, ob gezielte Hilfe die Situation in solchen Regionen sinnvoll verbessern

kann. Und diese Frage beantworte ich ganz klar mit Ja.

SZ: Auch wenn die Gefahr

besteht, dass korrupte Regierungen das nötige Geld einstreichen und

gezielte Hilfsprojekte erschweren?

Ja, zur Hilfe gibt es keine

Alternative. Nur sie macht es möglich, gefährliche Krankheiten

in den Griff zu bekommen. Nur Entwicklungshilfe ermöglicht, Geburtenraten

zu kontrollieren, Schulen zu bauen und den Wassermangel zu beheben, der

etwa die Krise in Dafur immer wieder anheizt. Die einfachste Antwort auf

die Frage, warum sich die meisten Krisenregionen nicht selbst helfen können,

ist, dass Gegenden mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 200 Dollar sich nicht

selbst regieren. Es geht mir nicht darum, die Moralkeule zu schwingen.

Ich will nur sagen, dass ein paar ganz praktische Dinge getan werden müssen,

denn unsere Lage ist nicht gerade gut – und sie verschlechtert sich von

Tag zu Tag.

SZ: Nach Ihren Berechnungen

wären nicht einmal astronomische Summen nötig, um die Situation

zu verbessern. 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts der wohlhabenden Länder

würden ausreichen – ein Anteil, der bei den Vereinten Nationen seit

1970 erklärtes Ziel ist und den Europas Geberländer bis 2015

tatsächlich erreichen wollen.

Ach, denken Sie nur mal daran,

wie schwierig es ist, für irgendetwas so einen Teil des Bruttosozialprodukts

in Deutschland zu bekommen! Über solche marginalen Budgetfragen stürzen

heutzutage Regierungen. Politiker sind besessen von Ein-Prozent-Streits.

Das ist sehr traurig. Zugeben würde das natürlich niemand, aber

so ist es. Es gibt in Europa seit 2005 tatsächlich ein Abkommen darüber,

die Entwicklungshilfe bis 2010 zu verdoppeln und bis 2015 zu verdreifachen.

Aber glauben Sie bloß nicht, dass es auch die ernsthafte Absicht

gibt, es so weit kommen zu lassen.

SZ: Europa befindet sich

in einer besonderen Situation. Trotz all der Schwierigkeiten, die Sie genannt

haben, gibt es eine Menge guter Entwicklungen: die enge Nachbarschaft,

das gemeinsame, große Verständnis für die Situation in

der Dritten Welt, eine gemeinsame Kommission und ein Parlament. Woher kommt

Ihrer Meinung nach die Tatenlosigkeit Europas gegenüber Afrika?

Es liegt an der Haushaltspolitik.

Keiner in Europa glaubt daran, irgendwelche Ziele erreichen zu können.

Man wartet lieber bis zur nächsten Wahl, bevor heikle Themen wieder

thematisiert werden. Es gibt zu viele Zweifel und deshalb in Afrika keine

Chance, die Nahrungsmittelproduktion, den Infrastrukturaufbau oder den

Kampf gegen die Malaria auch nur zwei Jahre im Voraus zu planen. Wir stecken

fest, müssen um minimale Beträge kämpfen und warten Jahr

für Jahr auf das große Geld. Dabei sollten wir uns längst

ernsthafte Gedanken darüber machen, was wir mit den versprochenen

50 Milliarden Dollar in Afrika überhaupt anstellen wollen.

SZ: Wofür plädieren

Sie?

Zunächst einmal dafür,

dass Ihr Euer Vorhaben verwirklicht, verehrte Europäer! Begreift außerdem,

dass Euch in den nächsten Jahren noch viel mehr Geld zur Verfügung

stehen wird und plant entsprechend! Europa würde es dann noch viel

besser gehen als jetzt. Stattdessen aber herrscht eine Menge Zynismus.

Ich glaube nicht, dass man sich in Europa wirklich dafür interessiert,

worüber sie 2005 abgestimmt haben.

SZ: Die klassische Stammtischfrage,

die Politiker in diesem Zusammenhang gern stellen: Warum müssen wir

eigentlich helfen?

Ganz einfach: Weil Europa

einen hungernden und instabilen Kontinent vor der Haustür hat, auf

dem heute 800 Millionen Menschen leben und voraussichtlich bald 1,8 Milliarden.

Hunger hemmt die demographische Entwicklung nur minimal. Alles, was Afrika

momentan auszeichnet, ist die dramatische Verbreitung von Infektionskrankheiten,

die Konflikte am Horn von Afrika, die Migration – all das wird früher

oder später auch die Stabilität Europas gefährden, wenn

sich niemand darum kümmert.

SZ: Wie kann so etwas Europa

gefährden?

Gegenfrage: Wie kommt man

eigentlich darauf, dass das Pulverfass am Horn von Afrika, dass die Konflikte

in und zwischen Ländern wie Eritrea, Äthiopien, Somalia, Sudan

und Tschad, nichts mit uns zu tun haben? Wie viele Menschen ertrinken auf

dem Weg nach Europa im Mittelmeer? Wie viele überleben und werden

illegale Migranten? Irgendwann muss jemand Alarm schlagen und sagen: Das

alles geht uns unmittelbar an!

SZ: Europa und Amerika tendieren

in Fragen der Entwicklungshilfe zurzeit zu einer eher konservativen Politik.

Hilfe soll es nur dann geben, wenn klar geregelt ist, wer im jeweiligen

Land die Verantwortung trägt. Halten Sie das für falsch oder

vernünftig?

Sie ist vernünftig,

aber im Fall von instabilen Regionen, in denen geholfen werden muss, leider

völlig unbrauchbar. Sie können doch nicht einfach nur mit der

Zunge schnalzen und darauf hinweisen, dass die Lage leider nicht stabil

genug ist, um zu helfen. Die Frage ist nicht, ob verarmte, instabile Gegenden

gut regiert werden, denn üblicherweise werden sie das nicht. Die Frage

ist, ob gezielte Hilfe die Situation in solchen Regionen sinnvoll verbessern

kann. Und diese Frage beantworte ich ganz klar mit Ja.

SZ: Auch wenn die Gefahr

besteht, dass korrupte Regierungen das nötige Geld einstreichen und

gezielte Hilfsprojekte erschweren?

Ja, zur Hilfe gibt es keine

Alternative. Nur sie macht es möglich, gefährliche Krankheiten

in den Griff zu bekommen. Nur Entwicklungshilfe ermöglicht, Geburtenraten

zu kontrollieren, Schulen zu bauen und den Wassermangel zu beheben, der

etwa die Krise in Dafur immer wieder anheizt. Die einfachste Antwort auf

die Frage, warum sich die meisten Krisenregionen nicht selbst helfen können,

ist, dass Gegenden mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 200 Dollar sich nicht

selbst regieren. Es geht mir nicht darum, die Moralkeule zu schwingen.

Ich will nur sagen, dass ein paar ganz praktische Dinge getan werden müssen,

denn unsere Lage ist nicht gerade gut – und sie verschlechtert sich von

Tag zu Tag.

SZ: Nach Ihren Berechnungen

wären nicht einmal astronomische Summen nötig, um die Situation

zu verbessern. 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts der wohlhabenden Länder

würden ausreichen – ein Anteil, der bei den Vereinten Nationen seit

1970 erklärtes Ziel ist und den Europas Geberländer bis 2015

tatsächlich erreichen wollen.

Ach, denken Sie nur mal daran,

wie schwierig es ist, für irgendetwas so einen Teil des Bruttosozialprodukts

in Deutschland zu bekommen! Über solche marginalen Budgetfragen stürzen

heutzutage Regierungen. Politiker sind besessen von Ein-Prozent-Streits.

Das ist sehr traurig. Zugeben würde das natürlich niemand, aber

so ist es. Es gibt in Europa seit 2005 tatsächlich ein Abkommen darüber,

die Entwicklungshilfe bis 2010 zu verdoppeln und bis 2015 zu verdreifachen.

Aber glauben Sie bloß nicht, dass es auch die ernsthafte Absicht

gibt, es so weit kommen zu lassen.

SZ: Europa befindet sich

in einer besonderen Situation. Trotz all der Schwierigkeiten, die Sie genannt

haben, gibt es eine Menge guter Entwicklungen: die enge Nachbarschaft,

das gemeinsame, große Verständnis für die Situation in

der Dritten Welt, eine gemeinsame Kommission und ein Parlament. Woher kommt

Ihrer Meinung nach die Tatenlosigkeit Europas gegenüber Afrika?

Es liegt an der Haushaltspolitik.

Keiner in Europa glaubt daran, irgendwelche Ziele erreichen zu können.

Man wartet lieber bis zur nächsten Wahl, bevor heikle Themen wieder

thematisiert werden. Es gibt zu viele Zweifel und deshalb in Afrika keine

Chance, die Nahrungsmittelproduktion, den Infrastrukturaufbau oder den

Kampf gegen die Malaria auch nur zwei Jahre im Voraus zu planen. Wir stecken

fest, müssen um minimale Beträge kämpfen und warten Jahr

für Jahr auf das große Geld. Dabei sollten wir uns längst

ernsthafte Gedanken darüber machen, was wir mit den versprochenen

50 Milliarden Dollar in Afrika überhaupt anstellen wollen.

SZ: Wofür plädieren

Sie?

Zunächst einmal dafür,

dass Ihr Euer Vorhaben verwirklicht, verehrte Europäer! Begreift außerdem,

dass Euch in den nächsten Jahren noch viel mehr Geld zur Verfügung

stehen wird und plant entsprechend! Europa würde es dann noch viel

besser gehen als jetzt. Stattdessen aber herrscht eine Menge Zynismus.

Ich glaube nicht, dass man sich in Europa wirklich dafür interessiert,

worüber sie 2005 abgestimmt haben.

SZ: George Bushs großes

Hilfsprogramm für Afrika klang ebenfalls vielversprechend, wurde aber

nie in die Tat umgesetzt.

Es ging um vier Milliarden

Dollar. Vielversprechend klang das nur für die, die nicht wussten,

dass die USA jedes Jahr 550 Milliarden Dollar für das Militär

ausgeben – Tendenz steigend. Unsere Untätigkeit verblüfft umso

mehr, als ja unübersehbar ist, dass die Gewalt am Horn von Afrika

eskaliert. Aber wir sind wie paralysiert und denken, es sei damit getan,

einfach noch mehr Friedenstruppen hinzuschicken.

Die Wurzeln der Probleme

jedoch – Wassermangel, Hunger, Krankheiten, eine katastrophale Infrastruktur,

das Abgeschnittensein vom Welthandel – kann keine Armee lösen. Trotz

Vietnam und Irak- Krieg haben wir noch immer nicht begriffen, dass die

Army zwar hervorragend Amerika verteidigen und Städte bombardieren

kann, aber weder Länder besetzen noch Regionen stabilisieren oder

gar politische Systeme verändern. Das alles ist allein Sache der Politik.

SZ: Und der politische Weg

sollte vor allem Entwicklungshilfe sein?

Genau deshalb müssen

wir in den Vereinigten Staaten unsere Einstellung in dieser Hinsicht dramatisch

ändern. Ganz abgesehen davon, dass in der Zwischenzeit der Aufstieg

Asiens die gesamte geopolitische Situation verändert hat. Während

wir noch lang und breit darüber diskutieren, ob wir überhaupt

Entwicklungshilfe leisten sollen, hat die chinesische Regierung im vergangenen

November in Peking 40 afrikanische Staatschefs empfangen. Da wurde vorbildliche,

moderne Geopolitik gemacht.

SZ: Auch nichtstaatliches

Engagement ist mittlerweile konkurrenzfähig. Bill Gates bekämpft

in Afrika Seuchen mit einem höheren Budget als die Weltgesundheitsorganisation.

Was halten Sie von Privatinitiativen?

Dagegen ist nichts einzuwenden.

Warren Buffett und Bill Gates helfen wohl mit etwa drei Milliarden Dollar.

Sie können damit sicher innovative und nützliche Projekte anstoßen,

die sie sich von niemandem genehmigen lassen müssen. Aber Afrika braucht

jedes Jahr 50 bis 75 Milliarden Dollar. Private wird staatliche Hilfe nicht

ersetzen können.

SZ: Und was hielten Sie von

der Entscheidung, den diesjährigen Friedensnobelpreis an den bengalischen

Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus zu vergeben, den Begründer

der Grameen-Bank, die Mikrokredite an die Ärmsten vergibt?

Es hat mich gefreut. Die

Aufmerksamkeit wurde dadurch wieder auf Entwicklungsfragen gelenkt und

es wurde über eine so nützliche Idee wie die Mikrofinanzierung

gesprochen. Prinzipiell ist aber auch die Mikrofinanzierung nur ein Mittel

unter vielen. Ein Chirurg arbeitet ja auch nicht nur mit dem Skalpell.

In den ärmsten Gegenden der Welt werden vor allem Krankenhäuser

und Moskitonetze gebraucht.

Mit Mikrofinanzierung kommen

sie da nicht weit. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Mikrofinanzierung

ist eine sehr gute Idee, und Muhammad Yunus hat den Preis verdient. Aber

es darf dadurch auf keinen Fall der Eindruck entstehen, der Markt könne

alle Probleme lösen. Das ist viel zu einfach gedacht. So denken nur

die Gegner der Entwicklungshilfe.

SZ: Mr. Sachs, blicken Sie

zurzeit eigentlich eher optimistisch oder eher pessimistisch in die Zukunft?

Die Geschichte hat gezeigt,

dass wir unser Schicksal beeinflussen können. Ich halte deshalb zwei

Szenarien für etwa gleich plausibel: Entweder wir werden immer misstrauischer

und engstirniger, dann werden wir auch immer mehr Naturkatastrophen und

Kulturkämpfe erleben. Oder – und daran glaube ich fest – wir schaffen

es dank unseres technischen Wissens und den damit verbundenen Möglichkeiten,

die Zukunft positiv zu gestalten. Unser Problem ist nicht, dass uns bald

irgendeine Ressource ausgeht. Unser Problem ist, dass wir unfähig

sind, wirklich miteinander zu kooperieren.

SZ: Mit anderen Worten: Wir

sind im sozialen Sinn noch nicht reif für die Globalisierung?

Wenn wir verstehen, dass

wir die wirklich drängenden Probleme alle miteinander teilen, dass

es globale Probleme sind, dann werden wir auch merken, was für unglaubliche

Ressourcen uns zur Verfügung stehen, um die Probleme zu lösen.

Wenn wir das nicht einsehen, wird es weiter all die Konflikte auf der Erde

geben, die wir doch eigentlich satthaben sollten. Wenn ich an die Zukunft

denke, bin ich also weder optimistisch noch pessimistisch. Ich denke, dass

wir die Chance haben, bessere Entscheidungen zu treffen.

 

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