RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 17.05.07

GOOGLE-MAPS-ERWEITERUNG

Sintflut auf dem Bildschirm

Von Stefan Schmitt

Wer bekommt nasse Füße,

wenn die Klimaerwärmung die Meere anschwellen lässt? “Flood”,

eine Erweiterung für Google Maps, macht eindrucksvoll deutlich, welche

Gebiete im Meer versinken würden. Auch Experten loben das Programm

– als Spielerei für Laien.

Vom Norden her erstreckt

sich die blaue Fläche weit über die ostenglischen Felder bis

an den Stadtrand von Cambridge. Von den Niederlanden bleiben nur der Südzipfel

und die Grenzregionen zu Deutschland übrig. Die Gebiete an der Elbmündung

erwischt der Meeresspiegel-Anstieg um sieben Meter genauso wie die Inseln

Föhr, Fehmarn und Teile Rügens – Land unter im Browser. “Flood”

heißt das, Flut, ein Was-wäre-wenn-Spiel mit dem Meeresspiegel.

Über dessen Anstieg wegen des Klimawandels wird immer wieder berichtet,

doch die Spekulationen um Zentimeter, Dezimeter und Meter pro Zeiteinheit

klingen wenig konkret. Mancher wird sich fragen: Was bedeutet das für

mein Zuhause?

“Ich wollte wissen, wie das

aussehen würde”, sagt “Flood”-Programmierer Alex Tingle zu SPIEGEL

ONLINE. “Ich habe mich im Netz auf die Suche gemacht, konnte aber nichts

finden.” In einem Internet-Diskussionsforum stieß er auf den Vorschlag

eines Nutzers, es müsse doch nur jemand Höhenlinien auf eine

Weltkarte projizieren, und schon wisse man, wer bei welcher Meereshöhe

nasse Füße bekäme.

Solche Daten stehen – als

Ausbeute der Shuttle Radar Topography Mission (SRTM), die im Februar 2000

die Erde in der Vertikalen vermessen hat – öffentlich zur Verfügung.

Rund 50 Gigabytes Rohmaterial der Fernerkundung liegen auf den Servern

des geologischen Dienstes der USA, dem US Geological Survey. Tingle lud

sie Kontinent für Kontinent auf seine Festplatte und begann zu programmieren.

Das war im Januar.

Katastrophen-Skala endet

bei 14 Metern

“Die ganze schwere Arbeit

haben ja die Jungs von Google erledigt”, sagt er. Tatsächlich setzt

seine Flutkarte auf die Anwendung Google Maps auf, mit der sich ein virtueller

Weltatlas aus Satellitenbildern und Landkarten im Webbrowser betrachten

lässt. Auf den ersten Blick ist auch auf Alex’ Webseite die gewohnte

Google-Maps-Oberfläche zu sehen – nur dass oben links ein zusätzliches

Auswahlmenü erscheint: “Sea level rise” – Anstieg des Meeresspiegels.

Bis maximal 14 Meter Anstieg reicht die Skala.

“Wenn die Grönlandgletscher

vollständig abschmelzen sollten, würden die Meere um rund sieben

Metern ansteigen, habe ich gelesen”, sagt Alex Tingle. Das mag ein wenig

hoch gegriffen sein, aber erst im März hatten Forscher im Fachblatt

“Science” ausgerechnet, dass ein Abschmelzen der Polkappen die Meeresspiegel

um mindestens vier, vielleicht gar um sechs Meter steigen lassen könnte

(mehr…).

Da der SRTM-Datensatz die

Erhebungen des gesamten Erdballs – vom Toten Meer bis zum Mount Everest

– beinhaltet und eine riesige Datenmenge bildet, musste Tingle einschränken,

damit sein kleines Java-Programm die Flut-Berechnung bewältigen konnte.

Deshalb war bei 14 Metern Schluss.

Experten loben Programm

Was er “an einem langen Wochenende”

programmiert hat, kann man sich als Laie wie eine unsichtbare Schablone

vorstellen, auch Overlay genannt. Dieses Overlay legt Höhenlinien

in den Stufen von 1 bis 14 Meter an und füllt je nach Auswahl den

entsprechenden Bereich auf der Karte. MashUps (mehr…)werden solche Verknüpfungen

von Daten unterschiedlicher Quellen genannt. Am Monitor erscheinen die

per Mausklick überfluteten Gebiete dann schraffiert.

“Eine tolle Sache”, findet

Hans Werner Schenke, Vermessungsspezialist am Alfred Wegener Institut (AWI)

in Bremerhaven, der sich für SPIEGEL ONLINE die Google Map-Erweiterung

von Tingle angeschaut hat. “Für Laien kann man das unbedingt empfehlen.”

Tingle, der als Programmierer

und IT-Berater arbeitet, freut sich über das Echo auf seine Spielerei.

“Greenpeace verwies auf meine Seite und schrieb mir einen Brief, in dem

stand, dass sie so etwas schon seit Ewigkeiten vorhatten.” Er sei kein

Umweltaktivist, er habe einfach nur abstrakte Voraussagen greifbar machen

wollen. “Ich selbst lebe in Nordlondon, und das ist ein gutes Stück

über dem Meeresspiegel, auch wenn er um 14 Meter ansteigt. Aber ich

denke mir schon, dass es auch mein Leben negativ beeinflussen würde,

wenn plötzlich die Innenstadt überflutet wäre.”

Grober Schätzwert

Wenn es um solche lokalen

Betrachtungen geht, ist bei “Flood” allerdings Vorsicht geboten. So sind

im SRTM-Datensatz Ebbe und Flut nicht berücksichtigt, stattdessen

sieht man nur den durchschnittlichen Normalpegel. In Hamburg oder Bremerhaven

beträgt dieser Tidenhub aber etwa dreieinhalb Meter. In England und

Nordfrankreich sind es lokal weit über zehn Meter.

Kartierungsexperte Schenke

weist auf ein weiteres Problem des SRTM-Datensatzes hin. Aus dem Weltraum

wurde die Erde in 30 mal 30 Meter große Kacheln aufgeteilt, für

die jeweils eine mittlere Höhe bestimmt wurde. Bis zu sechs Höhenmeter

betrage die mittlere Fehlerspanne bei den SRTM-Daten, sagt Schenke, “für

Neuseeland gar zehn Meter”. Denn das Land liegt schon arg weit im Süden

– die SRTM-Vermessung erfasste nur Breiten zwischen dem Äquator und

dem 60. Breitengrad. Die blau schraffierte Fläche im Browserfenster

ist deshalb eher ein grober Schätzwert, besonders je weiter man in

Richtung der Pole klickt.

Genauer sind etwa die Höhenkarten,

die im Bundesamt für Kartografie und Geodäsie (BKG) erstellt

werden. “Die bestimmen Höhen auf den Dezimeter genau”, sagt Schenke.

Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben Wissenschaftler

die SRTM-Daten bis zu einer Genauigkeit von drei Metern verbessert. Doch

kosten sowohl die BKG- wie auch die DLR-Daten teures Geld und bleiben Bastlern

wie Tingle somit vorenthalten.

Dass Flood keine realistische

Simulation für das Abschmelzen der Gletscher ist, sondern eben nur

ein virtueller Wagenheber für Wasseroberflächen, stellte Tingle

beim Blick auf das Kaspische Meer fest: “Das wird auch geflutet, wenn man

den Meeresspiegel ansteigen lässt – dabei gibt es weit und breit nur

Land, aber weder Gletscher noch eine Verbindung zum Meer.”

 

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