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FAZ

online 01.09.07

Globale Erwärmung

Klatsche für den

Klimaschirm

Von Joachim Müller-Jung

Es schien mehr ein verzweifelter,

denn ein ernsthafter Versuch des Nobelpreisträgers Paul Crutzen, als

er im vorigen Jahr seine unkonventionelle Lösung der Klimakrise in

der Zeitschrift „Climate Change“ präsentierte. Gelb schimmernde Sulfatpartikeln

sollten tonnenweise in die obere Atmosphäre gepumpt und damit das

einfallende Sonnenlicht zurück in den Weltraum reflektiert werden.

Ein Sonnenschirm aus Schwefel für die Stratosphäre. Die Reaktionen

reichten waren entsprechend geteilt, von besorgt bis empört. Und ein

nicht unbeträchtlicher Teil der Wissenschaftler scheint sich nun den

Spaß zu machen, den verdienten Nobelpreisträger aus Mainz, der

lange Jahre das Max-Planck-Institut für Chemie geleitet und die höchste

Auszeichnung für die Mitentdeckung des südpolaren Ozonlochs erhalten

hat, nach Strich und Faden zu widerlegen, ja regelrecht als Traumtänzer

zu düpieren.

Für die Klimaspezialisten

am Computer übernahm das an diesem Freitag Viktor Brovkin. Der Klimaexperte,

der sowohl am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) wie

am Max-Planck-Institut für Meteorologie tätig ist, setzte mit

seinem Crutzen-Verriss in Hamburg ein klimapolitisches Ausrufezeichen,

das auf der zweiten internationalen Tagung der Erdsystem-Modellierung nach

fünf Tagen eher routinierter Klimatheorie die umweltbewegten Herzen

höher schlagen ließ: So nicht, Herr Professor!

Eine lebensfeindliche Aufheizung

Brovkin hatte Crutzens technikgeleiteten

Lösungsvorschlag mit dem „Climber-2“-Modell, einem Erdsystem-Modell

„mittlerer Komplexität“, durchkalkuliert. Atmosphäre, Ozeane,

Sedimenta, Vegetation – eine ganze Menge von dem, was das globale Klima

in der Realität beeinflußt, ist darin in mehr oder weniger genau

beschriebenen Algorithmen in allerdings auch eher dürftiger räumlicher

Auflösung abgebildet. Die begrenzten Computerkapazitäten lassen

keine höhere Genauigkeit zu, zumal Brovkin das kohlendioxid- und schwefelgeschwängerte

Klima nicht nur ein paar Jahrzehnte, sondern gleich mehrere Jahrtausende

zu berechnen sich anschickte.

Seine Annahme: Der Mensch

pumpt, bis irgendwann die Kohle-, Gas- und Ölvorräte erschöpft

und die regenerativen Energien endgültig Alltag sind, bis zu fünftausend

Gigatonnen – fünf Billionen Tonnen – Kohlenstoff zusätzlich in

die Atmosphäre. Die Folge wäre nach seinen Berechnungen eine

Erwärmung um sechs Grad Celsius in den kommenden ein, zwei Jahrhunderten.

Eine „lebensfeindliche Aufheizung“ der Atmosphäre, die sich erst nach

und nach wieder durch die Entnahme des Kohlendioxids wieder entspannen

würde.

13 Millionen Tonnen Schwefel

An diesem Punkt kommt Crutzens

Schwefel-Injektion ins Spiel: Wollte man diesen zusätzlichen Treibhauseffekt

tatsächlich so kompensieren, wie sich das der Mainzer Nobelpreisträger

im Ruhestand vorstellte, dann müßten Brovkin zufolge auf dem

Höhepunkt der Erwärmung mindestens dreizehn Millionen Tonnen

Schwefelaerosole in die Stratosphäre gepumpt werden. Ließe man

die heute als Höchstgrenze gehandelte zwei Grad Erwärmung des

Globus zu, wären es immerhin noch neun Millionen Tonnen. Das entspräche,

weil die Schwefelpartikeln natürlich auch sukzessive wieder ausgewaschen

werden, einer kontinuierlichen Injektion von rund vier Millionen Tonnen

pro Jahr.

„Technisch ist das wohl machbar“,

sagte Brovkin im Hamburger Geomatikum, und die Kosten von geschätzten

140 Milliarden Dollar im Jahr lägen alles in allem im Bereich der

Summe aller anderen angedachten Klimaschutzmaßnahmen. Aber ethisch

und ökologisch sei es eine denkbar „schmutzige Option“ – ein „Damoklesschwert

über die kommende Generation“, meinte Brovkin an die Adresse Crutzens.

Nie dagewesener Klimakollaps

Eine schwere Bürde nicht

nur, weil die Erde sukzessive mit dem Schwefelregen und den Sulfatablagerungen

im Boden zu kämpfen hätten, sondern auch wegen der möglichen

„Klimakatastrophe“ zweiter Kategorie: Wenn sich nämlich die Menschheit

nach ein paar Jahrhunderten oder Jahrtausenden entschlösse, den Schwefelschirm

am Himmel einzumotten, droht die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre

darunter die Quecksilbersäule quasi schockartig innerhalb von dreißig

Jahren um vier Grad hochschnellen zu lassen. „Ein in der geologischen Geschichte

der Erde beispielloser Klimakollaps“, sagte Brovkin. Mit anderen Worten:

Der Plan des Geoingenieurs Crutzen würde die Menschheit Jahrtausende

in die Geiselhaft eines Luftverschmutzungsregimes nehmen.

Ähnlich argumentierten

vor wenigen Wochen die beiden nordamerikanischen Klimatologen Damon Matthews

von der Concordia University in Montreal und Ken Caldeira von der Carnegie

Institution in Stanford. Ihr Klimamodell, das sie in den „Proceedings“

der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften vorstellten,

ergab nach dem Absetzen der atmosphärischen Schwefelkur eine auf das

Zwanzigfach beschleunigte Erwärmung. Dritter im Bunde der jüngsten

Crutzen-Kritiker ist der prominente Klimatologe Kevin Trenberth vom Nationalen

Zentrum für Atmosphärenforschung in Boulder, Colorado. Er warnte

in den „Geophysical Research Letters“ jüngst davor, „große Vorsicht

walten zu lassen in dem Versuch, bewußt mit Maßnahmen in das

Klimasystem einzugreifen, die wir nicht vollständig verstehen“.

Pinatubo als Menetekel

Trenberth hat den Sonnenschirm

mit den größten Vulkanausbrüchen der jüngeren Vergangenheit,

dem Ausbruch des El Chichon 1984 und des Mount Pinatubo im Jahr 1991 verglichen.

Wie in dem virtuellen Crutzen-Experiment waren damals gewaltige Mengen

schwefelhaltige Partikeln in die obere Atmosphäre geschleudert worden.

Das Ergebnis waren veränderte Niederschlagsregime und Monate lang

anhaltende Dürreperioden in zahlreichen Regionen. Trenberth:„Mit ähnlichen

oder viel gravierenden Veränderungen müßten wir rechnen,

wenn man den Lösungsvorschlag der Sonnenabschirmung weiter verfolgt.

Große Dürren und Wasserknappheit wären die Folgen. Das

scheint keine angemessene Lösung des Problems.“

 

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