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FAZ

online 05.09.07

Kohlenstoffkreislauf

Die Klimaforschung schlingert

Von Joachim Müller-Jung

Kohlendioxid: Schlucken die

Bäume genug

Mit seiner Ankündigung,

die eigenen klimaschädlichen Emissionen dieses Jahres durch die Aufforstung

von fünfzehn Hektar Wald am osteuropäischen Theiß-Fluss

zu kompensieren, hat der Vatikan in Rom kürzlich seine Ansprüche

als ökologischer Musterstaat begründet. Mit dem „Klimawald des

Vatikans“ will man das erste Land sein, das die gesamte Kohlendioxidschuld

eines Jahres, die durch Autofahrten, Gebäudeheizung und die generöse

Beleuchtung des Petersdoms in der Nacht entsteht, komplett abträgt.

Aufforstung ist zu einem wichtigen Standbein der Klimapolitik geworden,

nicht nur im Vatikan. Neuseeland hat Ähnliches angekündigt, und

aus dem Bundesumweltministerium war die Anpflanzung von fünfhundert

Milliarden Bäumen weltweit ins Spiel gebracht worden.

Solchen Gedankenspielen und

Sühneunternehmen liegt die Überzeugung zugrunde, dass das Aufforsten

die gewünschten Zuwächse an Biomasse und damit die Speicherung

von Kohlendioxid in den Kohlenstoffspeichern der Natur bewirkt. Kohlendioxid

wird quasi als Dünger genützt. Wer allerdings die wissenschaftlichen

Veröffentlichungen der vergangenen Jahre und nicht zuletzt auch die

Beiträge auf der zweiten Internationalen Konferenz zur Erdsystem-Modellierung

in Hamburg in der vergangenen Woche gehört hat, wird über die

Selbstverständlichkeit, mit der über solche ökologischen

Wohltaten gesprochen wird, zumindest im Hinblick auf die exakte Klimawirkung

nochmals in sich gehen müssen.

Marginal oder gar kontraproduktiv

Denn wie die Vegetation künftig

auf den globalen Kohlenstoffkreislauf reagiert und damit die Fähigkeit

behält, die fossilen Treibhausgase zu „neutralisieren“, ist alles

andere als klar. Auch der Weltklimabeirat IPCC hat in seinem jüngsten,

vierten Bericht eingestanden: „Die größte Unsicherheit im globalen

Kohlenstoffhaushalt der Zukunft steckt in der Frage, inwieweit die Vegetationsveränderungen

zur Kohlenstoffbilanz beitragen.“ Damit ist nicht etwa nur die Unsicherheit

gemeint, die mit dem Unwissen über die Entwicklung der Regenwaldabholzung

einhergeht. Den Hochrechnungen zufolge, die jüngst in der Zeitschrift

„Science“ (Bd. 316, S. 985) vorgestellt wurden, werden durch die Rodungen

derzeit etwa 1,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff und damit etwa ein Fünftel

der „menschengemachten“ Emissionen verursacht.

Aber die tropischen Regenwälder

gelten wie die Forste der gemäßigten und höheren Breiten

weiter als sogenannte Senke – als Speicher. Die meisten Klimamodelle zeigen,

dass das auch in einer wärmeren Welt so bleiben wird, aber längst

nicht alle. Forscher der Carnegie Institution in Stanford und französische

Kollegen präsentierten vor einiger Zeit in den „Proceedings“ der amerikanischen

nationalen Akademie der Wissenschaften Berechnungen eines Erdsystem-Modells,

die Veränderungen der solaren Rückstrahlung – den Albedo-Effekt

– und Verdunstungseffekte beinhalteten. Ergebnis: Aufforstungen und das

Verhindern weiterer Abholzungen in den Tropen könnten zwar der Erwärmung

entgegenwirken, in den höheren Breiten sei das Unterfangen allerdings

kontraproduktiv, und der Nutzen in gemäßigten Breiten – an der

Theiß etwa – sei marginal.

Keine Einbahnstraße

Solchen Aussagen kann man

derzeit glauben oder nicht. Sie sind Modellergebnisse. Aber auch die bisherigen

Messungen sind unvollständig und oft widersprüchlich. In der

Zeitschrift „Ecology Letters“ (Bd. 10, S. 461) stellte Ken Feeley von der

Harvard-Universität Messergebnisse zweier Urwaldexperimente in Panama

und Malaysia vor, die zeigen, dass die Zunahme der Biomasse und damit die

Kohlenstoffspeicherrate selbst der tropischen Urwälder mit steigender

Temperatur nachlassen kann – um bis zu fünfzig Prozent in weniger

als zwei Jahrzehnten.

Die Temperaturabhängigkeit

des natürlichen Kohlenstoffhaushaltes ist jedoch keine Einbahnstraße,

wie Ivan Janssens von der Universität Antwerpen auf der Hamburger

Tagung deutlich gemacht hat. Das gilt etwa für die gewaltigen Kohlenstoffmengen,

die im Boden gespeichert sind. Mit steigender Temperatur könnte man

erwarten – und die meisten Klimamodelle sehen das vor -, dass der mikrobielle

Abbau zunimmt und irgendwann unter Umständen sogar mehr Kohlendioxid

aus dieser Veratmung an die Atmosphäre abgegeben als durch Photosynthese

aufgenommen wird.

Die Wissenschaft ist noch

am Anfang

Janssens hat aber in seinen

Experimenten gezeigt, dass andere äußere Bedingungen, etwa die

Dicke der Humusschicht, die Adsorption des Kohlenstoffs an Tonminerale

und insbesondere die Trockenheit – beziehungsweise Nichtverfügbarkeit

von Wasser – dazu führen können, dass die Kohlendioxidabgabe

aus dem Boden extrem schwankt. Der Abbau als enzymatischer Prozess unterliege

auch biologischen, nicht nur geologischen Regeln. Deshalb solle man künftig

nicht mit Kohlenstoffspeichern, sondern mit „verfügbaren Kohlenstoffspeichern“

rechnen.

So oder so, die Wissenschaft

ist im Hinblick auf den Kohlenstoffhaushalt im Fluss, wie Martin Claußen

vom Max-Planck-Institut für Meteorologie offen eingestand, und eigentlich

noch am Anfang.

 

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