RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 06.09.07

ENERGIE-VERSCHWENDUNG

Ölförderer

fackeln Gas im Wert von 40 Milliarden Dollar ab

Von Volker Mrasek

Es ist eine gigantische Energieverschwendung.

Bis zu 170 Milliarden Kubikmeter Erdgas werden jährlich auf Ölplattformen

weltweit abgefackelt oder abgelassen. Wert: 40 Milliarden Dollar. Dadurch

wird die Atmosphäre im großen Stil mit den Klima-Killern CO2

und Methan belastet.

Trotz Klimawandel, Kyoto-Protokoll

und knappen Ressourcen: Die Ölindustrie fackelt unverändert große

Mengen Erdgas einfach ab, die bei der Förderung von Öl aus Lagerstätten

auf See oder an Land zwangsläufig mit anfallen. Über 20 Länder

haben diese Art der Entsorgung in den letzten zwölf Jahren sogar ausgebaut,

manche verbrennen weitaus mehr Gas auf Bohrinseln und in Förderfeldern,

als sie bisher offiziell einräumten.

Zu diesem Ergebnis kommt

eine neue Studie der US-Wetterbehörde NOAA auf Basis von Satellitenbeobachtungen.

Auftraggeber war die Weltbank. Sie hatte vor fünf Jahren eine globale

Initiative gestartet mit dem Ziel, die noch immer gängige Praxis zu

ändern und das Gas sinnvoll, sprich: zur Energieerzeugung, zu nutzen.

Nach der NOAA-Analyse fackeln

die Ölförderer jedes Jahr zwischen 150 und 170 Milliarden Kubikmeter

Erdgas ab. Das sind mehr als fünf Prozent der weltweiten Produktionsmenge,

wie die Autoren schreiben: “Würde man das Gas in den USA verkaufen,

hätte es einen Marktwert von rund 40 Milliarden Dollar.” Wie groß

die vergeudeten Erdgasmengen sind, verdeutlicht auch Bent Svensson, Chef

der Anti-Abfackelungsinitiative der Weltbank: “Verfeuerte man die 40 Milliarden

Kubikmeter, die in Afrika jedes Jahr abgefackelt werden, in modernen Kraftwerken,

könnte man die Stromerzeugung südlich der Sahara glatt verdoppeln.”

Mit der Gasverbrennung am

Ort der Ölförderung geht zugleich eine starke Klimabelastung

einher. Etwa 400 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid entstünden

beim globalen Abfackeln Jahr für Jahr, heißt es in dem Report.

Das entspricht fast der Hälfte der gegenwärtigen CO2-Emission

Deutschlands. “Gemessen an den Treibhausgasmengen, die die Industrieländer

nach dem Kyoto-Protokoll bis zum Jahr 2012 vermeiden müssen, sind

das 13 Prozent”, sagt Weltbank-Experte Svensson.

Es gibt sogar Ölfelder,

auf denen man das Erdgas unverbrannt in die Atmosphäre entweichen

lässt. Das ist noch schlechter fürs Klima, denn Methan, der Hauptbestandteil

des aus der Tiefe geholten Kohlenwasserstoff-Gemisches, hat ein etwa 20

Mal höheres Treibhauspotential als Kohlendioxid, das bei der Verbrennung

von Erdgas entsteht.

Abfackel-Statistik: Russland

verbrennt nach Berechnungen der Forschern das meiste Erdgas

Um ihre Weltkarte der unnützen

Emissionen in der Ölbranche zu erstellen, griffen die NOAA-Forscher

auf Daten US-amerikanischer Satelliten aus den Jahren 1995 bis 2006 zurück.

Mit ihren Bordkameras schossen sie flächendeckend Tele-Fotos der Erdoberfläche

aus über 700 Kilometern Höhe, sowohl im Bereich sichtbaren als

auch infraroten Lichts. Für die Analyse ausgewählt wurden nur

Nachtaufnahmen bei wolkenlosem Himmel.

Weil Ölfördergebiete

fast alle außerhalb bevölkerter Landstriche liegen, treten die

Gasfackeln in den hochaufgelösten Bildern deutlich als Punktquellen

hervor. Auch Waldbrände werden auf diese Weise von Satelliten permanent

erfasst und dokumentiert. Die NOAA-Forscher entwickelten und benutzten

schließlich spezielle Algorithmen, um aus der Intensität der

Flammen die verbrannten Erdgas-Mengen abzuleiten.

Rund 50 Milliarden Kubikmeter

Gas fackelt demnach allein Russlands Ölindustrie jedes Jahr nutzlos

ab – ein Drittel der globalen Gesamtmenge. Diese Zahl ist um ein Mehrfaches

größer als die 15 Milliarden Kubikmeter, die Russland vor drei

Jahren offiziell angegeben hat. Auch Länder wie Kasachstan, Saudi

Arabien und China haben ihren Beitrag offenbar untertrieben und werden

durch die Satellitenbeobachtungen als stärkere Verschmutzer der Atmosphäre

entlarvt. Russland und Kasachstan hebt die Studie zugleich als jene Ölförderländer

(neben Iran) hervor, in denen das Abfackeln von Gas zwischen 1995 und 2006

zugenommen habe, und zwar um drei bis zehn Milliarden Kubikmeter jährlich.

15 Ländern und Fördergebieten

attestiert die Studie dagegen einen rückläufigen Trend, darunter

Norwegen und den Nordsee-Feldern. Auch Nigeria, das bisher als größter

Gasvergeuder auf seinen zahlreichen Ölbohrinseln im Golf von Guinea

galt, fackelt demnach nicht mehr so viel ab wie noch Mitte der neunziger

Jahre. Anders als Russland ist der westafrikanische Staat in die Reduktionsinitiative

der Weltbank eingebunden, bringt es aber immer noch auf über 20 Milliarden

Kubikmeter Fackelgas pro Saison.

“Das meiste Erdöl wird

in entlegenen Gegenden gefördert, oft draußen im Meer, weit

weg von potentiellen Abnehmern für das Gas”, umreißt Bent Svensson

das grundsätzliche Problem. “Der Schlüssel für seine Verwertung”

sei daher der Aufbau einer geeigneten Infrastruktur, an der es bisher fehle

und die, wie der Schwede anregt, von mehreren Förderunternehmen in

demselben Gebiet gemeinsam aufgebaut und genutzt werden könnten.

Svensson weiß aber

auch: Beim derzeitigen Ölpreisniveau und den Profiten, die die Energiekonzerne

machen, sieht keiner von ihnen einen Anreiz, auch noch in die Gasverwertung

zu investieren. Attraktiv ist das allenfalls in Entwicklungs- und Schwellenländern,

wo der sogenannte Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls

greift. Erfüllt ein Projekt die CDM-Standards und führt nachweislich

zu einer Reduktion von Treibhausgas-Emissionen, streichen seine Initiatoren

dafür CO2-Zertifikate ein, die sie im Rahmen des Emissionshandels

verkaufen können.

Im ölreichen Golf von

Guinea gibt es inzwischen ein erstes nigerianisches Pilotprojekt, das nach

dem CDM-Prinzip registriert wurde. Das Erdgas wird teils in die Lagerstätte

zurück injiziert, teils per Pipeline zu einem Gaskraftwerk befördert.

Dort entsteht bei der Stromerzeugung dann weniger CO2 als bei der (in Nigeria

noch anzutreffenden) Verwendung von Öl als Brennstoff.

Laut Svensson bereitet die

Weltbank weitere derartige CDM-Projekte vor, unter anderem in Indonesien

und Katar. Zusammengenommen sollen alle Aktivitäten im Rahmen der

Anti-Abfackelungskampagne dazu führen, dass die Atmosphäre um

die 32 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis zum Jahr 2012 entlastet wird.

Verglichen mit den 400 Millionen

Tonnen, die die lodernden Gasfeuer der Ölindustrie alljährlich

emittieren, ist das allerdings nur ein kleines CO2-Wölkchen, das der

Atmosphäre erspart bleibt.

 

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