RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Süddeutsche

online 10.09.07

Umweltpolitik

“Wir brauchen einen neuen

Ansatz im Klimaschutz”

Von Michael Bauchmüller

und Nicolas Richter

Der UN-Experte Yvo de Boer

will den Schwellenländern entgegenkommen – und die Kyoto-Ziele auch

an der Wirtschaftskraft ausrichten. “Wir müssen wegkommen vom bisherigen

Schwarz-Weiß-Modell”: Yvo de Boer

Zwei Wochen vor dem Klimagipfel

der Vereinten Nationen in New York hat Yvo de Boer, Chef des UN-Klimasekretariats

in Bonn, ein neues Modell im internationalen Klimaschutz gefordert.

Er will damit den USA und

vor allem den großen Schwellenländern entgegenkommen. “Wir brauchen

für die Zukunft ein stärker differenziertes Konzept”, sagte de

Boer der Süddeutschen Zeitung.

“Wir könnten künftig

einige Staaten haben, die sich ein absolutes Ziel geben, während sich

andere relative Ziele auferlegen.” Neben die verbindlichen Zusagen der

Industrieländer könnten so auch Vorgaben treten, die sich an

der wirtschaftlichen Entwicklung etwa in Schwellenländern orientieren.

Denkbar sei etwa, Zusagen für eine höhere Energieeffizienz verbindlich

in ein neues Regelwerk für den Klimaschutz aufzunehmen. “Wir müssen

wegkommen vom bisherigen Schwarz-Weiß-Modell”, sagte de Boer in Bonn.

Der Zeitdruck für ein

neues Abkommen ist hoch. Soll eine neue Konvention nach 2012 nahtlos das

bisherige Kyoto-Protokoll ersetzen, müssten die Staaten noch bei der

Klimakonferenz im Dezember auf Bali den Weg für Verhandlungen frei

machen. “Wir brauchen ein Mandat, das formale Verhandlungen vorsieht und

eine Ziellinie enthält, bis zu der diese Verhandlungen abgeschlossen

sind”, sagte de Boer.

“Gäbe es kein solches

Mandat, wäre Bali ein Misserfolg.” Sollten sich die Staaten auf neue

Verhandlungen verständigen, könnten sie theoretisch Ende 2009

in Kopenhagen den Weg frei machen für ein neues Abkommen. Bislang

haben sich im Kyoto-Abkommen 36 Staaten feste Klimaschutzziele auferlegt.

Damit muss nur ein Bruchteil der Unterzeichnerstaaten tatsächlich

etwas für den Klimaschutz tun.

Werben um Indien und China

De Boers Vorstoß dürfte

vor allem Schwellenländer wie China und Indien interessieren. Sie

wollen zwar grundsätzlich Beiträge zum Klimaschutz leisten, scheuen

aber jede Vorgabe, die ihr wirtschaftliches Wachstum begrenzen könnte.

Sähe ein neues Abkommen

für sie aber zunächst nur eine Steigerung der Energieeffizienz

vor, ließen sie sich einerseits leichter für ein Folgeabkommen

gewinnen; andererseits würde ihr enormes Wachstum klimaverträglicher.

 

» Es mag zynisch klingen,

aber wenn die Menschen sich in Ruanda oder im Sudan niedermetzeln, dann

können die Leute hier zumindest ihren Fernseher ausschalten und es

ignorieren. Aber Sie können nicht den Fernseher ausschalten und den

Klimawandel ignorieren. «

Yvo de Boer

Auch könnte es dafür

finanzielle Unterstützung geben. Verpflichtete sich Indien zum Beispiel

auf den Ausbau erneuerbarer Energien, könnten Unternehmen aus Industrieländern

sich daran beteiligen, warb de Boer. “Im Gegenzug erhielten sie Emissionsgutschriften.”

Die Wachstumsökonomien China und Indien gelten als Schlüsselländer

im Kampf gegen den Klimawandel. Zuletzt hatte auch Angela Merkel die beiden

Länder umworben.

Sie hatte vorgeschlagen,

künftig die Pro-Kopf-Emissionen zur Grundlage nationaler Klimaziele

zu machen. So könnten sich die Industrieländer auf einen Pfad

einigen, ihre Pro-Kopf-Emissionen auf lange Sicht bis zu einem bestimmten

Niveau zu senken. Dieses Level würde dann zur Obergrenze für

alle Nationen – auch für die aufstrebenden Schwellenländer.

Dieser Vorstoß könnte

allerdings an den USA scheitern, warnte de Boer. “Die USA sind am weitesten

von dem gemeinsamen Niveau entfernt. Also wird es dort auch die größten

Widerstände geben.” Sowohl Washington als auch Peking hätten

klargemacht, dass sie einem neuen Klima-Abkommen nur dann beitreten würden,

wenn das jeweils andere Land mitmache. Die UN müssen nun versuchen,

beide Staaten zu gewinnen.

“Bushs Haltung zum Klimaschutz

hat sich ganz klar verändert”

Washington sucht derzeit

einen neuen Weg im Klimaschutz, unter anderem bei einem Treffen der größten

Treibhausgas-Emittenten Ende des Monats in Washington. Umweltschützer

hatten zuletzt gerätselt, was Washington mit seiner Initiative bezweckt.

Kritiker sprachen von einem Versuch, die UN- Klimakonferenz von Bali zu

unterminieren. De Boer sieht das anders. “Bushs Haltung zum Klimaschutz

hat sich ganz klar verändert”, so de Boer.

Dies hänge mit neuen

wissenschaftlichen Erkenntnissen zusammen, aber auch mit dem Druck aus

dem In- und Ausland. So gesehen könne das Treffen in Washington helfen,

eine gemeinsame Linie zwischen jenen Ländern zu finden, denen die

größte Verantwortung im Klimaschutz zukommt. “Die USA haben

in Heiligendamm zugesagt, die Ergebnisse einer solchen Runde in den Verhandlungsprozess

der Vereinten Nationen zurückzubringen”, sagte de Boer. “Dahinter

können sie nicht zurückfallen.”

Damit stehen die Bedingungen

für einen Erfolg in Bali offenbar gut. Kurz vor dem Washington-Treffen

kommen in New York mehr als hundert Staats- und Regierungschefs auf Einladung

von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zusammen. “Das kann das entscheidende

Signal für neue Verhandlungen sein”, hofft de Boer. Dazu allerdings

müssten die Staats- und Regierungschefs akzeptieren, dass die Bekämpfung

des Klimawandels Geld kostet.

Allerdings gebe es auch immer

noch eine Unbekannte: Russland. De Boer macht sich Sorgen, dass er Moskau

auf dem Weg zu einem neuem Abkommen verlieren könnte. “Wir müssen

aufpassen, dass wir nicht neue Staaten ins Boot holen, während hinten

welche aussteigen‘‘, warnte er. “Als das Kyoto-Abkommen unterzeichnet wurde,

lag die russische Wirtschaft am Boden. Wie sehr aber wird Russland heute

an Emissionsminderungen interessiert sein?”

Der Klimawandel werde die

globale Agenda noch lange prägen, glaubt de Boer. “Es mag zynisch

klingen, aber wenn die Menschen sich in Ruanda oder im Sudan niedermetzeln,

dann können die Leute hier zumindest ihren Fernseher ausschalten und

es ignorieren. Aber Sie können nicht den Fernseher ausschalten und

den Klimawandel ignorieren.”

 

Mail  
Scroll to Top