RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 09.09.07

SCHWEFEL-NEBEL

Forscher zweifeln an

Vulkan-Methode gegen Klimakollaps

Von Volker Mrasek

Der Plan ist schon älter,

aber für manchen Klimaforscher hochaktuell: Tonnenweise in der Stratosphäre

ausgebrachter Schwefel soll die Erderwärmung stoppen, ähnlich

wie ein Vulkanausbruch. Nun haben Wissenschaftler ein solches Szenario

durchgerechnet – mit ernüchternden Ergebnissen.

Ein russischer Wissenschaftler

hatte die Idee bereits vor rund 30 Jahren: Michael Budyko fabulierte von

“künstlichen Vulkan-Schleiern”, in die man den Globus hüllen

könne. Ein Chemie-Nobelpreisträger griff den abstrus scheinenden

Vorschlag im Vorjahr wieder auf: Der niederländische Ozonforscher

Paul Crutzen hielt die Zeit für reif, sich Gedanken über die

Injektion riesiger Mengen Schwefel in die Stratosphäre zu machen,

um damit dieselbe klimakühlende Wirkung zu erzielen wie der großräumig

verteilte Fallout von Vulkanausbrüchen.

Ein Russe ist es nun wiederum,

der Crutzens Empfehlung einer wissenschaftlichen Bewertung unterzieht,

und dabei etliche Schwachpunkte des technokratischen Planspiels aufdeckt.

Nach taufrischen Modellrechnungen von Victor Brovkin vom Potsdam-Institut

für Klimafolgenforschung (PIK) ist das Konzept ziemlich realitätsfern,

da die “Operation Schwefelkühlung” für eine halbe Ewigkeit und

ohne Unterbrechung beibehalten werden müsste. Gebe man das Mammutprojekt

frühzeitig auf, drohte der Erde erst recht ein fataler Hitzeschock.

Die neue Studie hat der Mathematiker

zusammen mit fünf Fachkollegen von der University of Chicago, vom

Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie und vom PIK soeben

zur Veröffentlichung im Wissenschaftsjournal “Climatic Change” eingereicht.

Sie lässt erkennen, wie illusorisch es wohl ist, der gegenwärtigen

Klimaerwärmung mit großtechnischen Methoden des sogenannten

Geo-Engineerings zu begegnen.

In ihrem Modell-Szenario

unterstellen die Forscher, dass die Menschheit bis zum Jahr 2300 sämtliche

Erdöl-, Erdgas- und Kohlevorräte verfeuert, die weltweit verfügbar

sind; in ihnen stecken schätzungsweise fünf Billionen Tonnen

Kohlenstoff. Niemand unternimmt etwas, um die damit verbundenen Emissionen

des Treibhausgases Kohlendioxid zu drosseln oder zu unterbinden.

Aerosole gegen Sonneneinstrahlung

Stattdessen schaltet man

den Schwefel-Thermostaten ein: Ballone befördern das Element in stratosphärische

Höhen um 20 Kilometern, wo das Gas zu Schwefeldioxid verbrannt wird.

Daraus entstehen wiederum Sulfat-Schwebteilchen, sogenannte Aerosole, die

ganz in der Manier von Vulkanstaub einfallendes Sonnenlicht in den Weltraum

zurückwerfen und so die bodennahen Luftschichten kühlen.

“Uns interessierte vor allem

die Frage, wie lange das ganze CO2 in der Atmosphäre bleibt”, sagt

Brovkin. Die Antwort, ausgespuckt von dem Potsdamer Klimamodell: auf jeden

Fall 10.000 Jahre, vermutlich sogar noch länger. Denn im Ozean, obwohl

natürliche Senke für atmosphärisches Kohlendioxid, ist für

derart große Mengen des Treibhausgases kein Platz. Im PIK-Modell

verfünffacht sich daher der CO2-Gehalt der Außenluft bis zum

Jahr 2300; erst danach nimmt er ab, aber nur schleichend, über Jahrtausende.

“Genauso lange müsste man dann auch Schwefeldioxid injizieren, um

den Planeten zu kühlen”, folgert Brovkin. “Hat man einmal damit begonnen,

kann man praktisch nicht mehr aussteigen.”

Hoher Preis für die

Umwelt: Dürren und saurer Regen

Die erzeugten Sulfatpartikel

gondeln höchstens ein, zwei Jahre lang um die Erde, ehe sie in die

Wetterschicht absinken, dort in Wolken aufgehen und mit ihnen ausregnen

– als saurer Regen übrigens. Schwefel muss also ständig nachgeliefert

werden, und zwar so viel, dass ständig um die zehn Millionen Tonnen

davon in der Stratosphäre schweben, wie die Forscher überschlagen.

Für ein solches Dauerprojekt

mit veranschlagten Kosten von über hundert Milliarden Dollar pro Saison

wäre laut Brovkin “ein internationales Abkommen auf Zeitskalen von

Jahrhunderten” nötig. Das würde “ein Ausmaß an geopolitischer

Stabilität erfordern, das nicht sehr wahrscheinlich ist”, schreiben

die Studienautoren.

In ihrem Klima- und Kohlenstoffkreislauf-Modell

haben sie deshalb auch simuliert, was geschieht, wenn die Schwefelinjektion

aussetzt. “Dann bekommt man eine rapide Erwärmung von im Mittel vier

Grad Celsius innerhalb von 30 Jahren”, so Brovkin. In mittleren nördlichen

Breiten würden die Temperaturen saisonal um bis zu sechs, in den Polarregionen

sogar um bis zu zehn Grad steigen. Die Forscher sind sich sicher: “Das

wäre ein Desaster für Ökosysteme”, die Welt eine andere

als heute.

Forscher fürchten Dürren

Im November 2006 hatten die

US-Raumfahrtbehörde Nasa und das Carnegie Institute Wissenschaftler

erstmals zu einem internen “Workshop über das Management der Solarstrahlung”

nach Kalifornien eingeladen. Der Bericht des Treffens liegt inzwischen

vor. Darin wird auf weitere Schwachpunkte der Schwefelinjektion hingewiesen.

Zum Beispiel würden die künstlichen Vulkanstaubschleier nichts

daran ändern, dass der Ozean ob des ständigen CO2-Eintrags immer

stärker versauert und kalkbildende Meeresorganismen dadurch in Not

geraten. 

 

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