RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Spiegel

online 27.03.07

FOLGEN DER ERDERWÄRMUNG

Forscher fürchten

Verlust kompletter Klimazonen

Von Volker Mrasek

Wird aus den Tropenwäldern

Savanne? US-Forscher prophezeien das Aus bestimmter Klimazonen und die

Entstehung neuer Klimaregionen durch die globale Erwärmung. Denn Flora

und Fauna in den feucht-warmen Regenwäldern vertragen keinen starken

Temperaturanstieg.

Die tiefen Rottöne sind

es, die ins Auge stechen. Auf den Weltkarten der Klimamodellierer signalisieren

sie die heftigsten Hitzeschübe auf dem Globus. Je weiter man nach

Norden vorstößt, desto stärker ist der Atlas dunkelrot:

Die Arktis soll der Klimawandel nach den Prognosen am härtesten treffen

– mit regionalen Temperaturzuwächsen von bis zu acht Grad Celsius

im Laufe des 21. Jahrhunderts. Die Folgen sind längst beschworen:

tauende Dauerfrostböden, schrumpfende Gletscher, der Eisbär und

die klassische Jagdkultur der Inuit ohne Zukunft.

Doch jetzt legt eine aktuelle

US-Studie nahe, dass es unklug ist, sich allein auf die Farbenlehre der

Klimatologen zu verlassen. Die Arbeit dreier Biologen erscheint in der

neuen Ausgabe der Fachzeitschrift “Proceedings of the National Academy

of Sciences”. Die Autoren rütteln nicht etwa am globalen Muster der

mutmaßlichen Erwärmung mit der Arktis als Hot Spot. Doch sie

sind davon überzeugt, dass die Klimaerwärmung eine ganz andere

Weltregion, von der bisher kaum jemand spricht, viel stärker gefährdet:

die Tropen mit ihrem ungeheuren Artenreichtum in den ausgedehnten Regenwäldern

Amazoniens und Indonesiens.

Ein Befund, der zunächst

verblüfft. Denn in den Gefilden rund um den Äquator soll das

Thermometer nach den Klimaprojektionen allenfalls halb so hoch klettern

wie in der nördlichen Polarregion. “Doch wenn man eine Welt nimmt

und sie aufheizt, dann sind es ihre wärmsten Regionen, die als Erste

ins Unbekannte vorstoßen”, sagt John Williams, Geograf an der University

of Wisconsin und Erstautor der neuen Studie.

Tropen vertragen globale

Erwärmung am schlechtesten

“Auf allen Zeitskalen – von

Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr und selbst von einer Eiszeit zu einer Zwischeneiszeit

– sind die natürlichen Temperaturänderungen in den Tropen wesentlich

schwächer als in hohen Breiten”, so Williams im Gespräch mit

SPIEGEL ONLINE. Dort lebende Pflanzen- und Tierarten seien folglich nicht

auf starke Temperaturzuwächse eingestellt. Wenn man das berücksichtige,

dann stelle der Klimawandel Ökosysteme “nicht in hohen, sondern in

niedrigen Breiten” vor die größte Herausforderung.

Williams und seine Kollegen

schufen so etwas wie einen neuen Risiko-Index für die verschiedenen

Klimazonen der Erde. Darin flossen zunächst einmal die von Klimamodellen

projizierten Temperatur- und Niederschlagsänderungen gegen Ende des

Jahrhunderts ein. Davon zogen die Forscher die natürlichen Schwankungen

der unterschiedlichen Regionen ab – in der Arktis zum Beispiel den starken

Temperaturwechsel zwischen Sommer und Winter, wie es ihn in Äquatornähe

praktisch nicht gibt. “Heraus kam zu unserer großen Überraschung,

dass zwei, drei Grad Erwärmung in den Tropen viel bedeutsamer sind

als fünf bis acht Grad plus in den hohen Breiten”, sagt Geowissenschaftler

Williams.

Tropischer Regenwald wird

zur Savanne

Wie die artenreichen Ökosysteme

der tropischen Regenwälder auf die ungewöhnliche Hitze reagieren

werden, können die Ökologen allerdings nicht mit Bestimmtheit

sagen. Die Erde erwärme sich gegenwärtig so rasch, “dass wir

wirklich sicheres Terrain verlassen”, meint der Botaniker Stephen Jackson,

auch er einer der Studienautoren. Für das, was derzeit geschehe, gebe

es keine Blaupause in fossilen Klimarekonstruktionen, wie der Direktor

des Ökologieprogramms an der University of Wyoming in Laramie feststellt:

“Woran sich Ökosysteme normalerweise über einen Zeitraum von

mehreren Tausend Jahren anpassen, das geschieht jetzt binnen Jahrzehnten.”

Klar ist wohl nur eines: In den Tropen drohen Tier- und Pflanzenarten nicht

allein durch Abholzung und Brandrodung auszusterben; der Klimawandel verstärkt

die Existenzbedrohung für die einzigartige Flora und Fauna noch.

Ausdehnung

Tropischer, immergüner

Regenwald umspannt die Erde im Bereich des Äquators. Seine Ausdehnung

wurde im Jahr 1980 noch auf elf Millionen Quadratkilometer weltweit geschätzt.

Das ist eine Fläche größer als die USA (knapp zehn Millionen

Quadratkilometer). Sie schrumpft aber ständig infolge von Holzeinschlag

und Brandrodung. Der größte zusammenhängende Regenwald

der Erde befindet sich im Amazonasgebiet Südamerikas. An der gesamten

Waldfläche der Erde hat der tropische Regenwald einen Anteil von über

30 Prozent.

Artenvielfalt

Die tropischen Regenwälder

sind Schatzkammern der Natur. In ihnen lebt rund die Hälfte aller

bisher bekannten Tier- und Pflanzenarten. Allein in der Amazonasregion

könnten es 2,5 Millionen verschiedene Insekten und 40.000 Pflanzenspezies

sein. Auf einen Hektar üppigen Tropenwald kommen mitunter bis zu 275

unterschiedliche Baumarten. Viele Mitglieder der Flora und Fauna sind endemisch,

das heißt, sie kommen nur im Regenwald vor. Dazu zählen etwa

sogenannte Epiphyten wie Bromelien und Orchideen: Sie wurzeln nicht im

Waldboden, sondern wachsen in luftiger Höhe im Geäst der Urwaldriesen.

Abholzung

Jedes Jahr werden vermutlich

über 100.000 Quadratkilometer des tropischen Regenwalds für die

Holzgewinnung gerodet oder abgebrannt, um Acker- und Weideland zu schaffen.

Das ist eine Fläche so groß wie Österreich. Im Amazonasgebiet

sind bis heute fast 20 Prozent des ursprünglichen Regenwaldes verschwunden.

Jede Minute gehen noch immer mehr als drei Hektar verloren, wie der World

Wide Fund for Nature (WWF) überschlägt. Durch die Klimaerwärmung

geraten die Wald-Ökosysteme am Äquator zusätzlich in Gefahr.

Auf dieses Risiko dürfte

auch der Weltklimarat der Vereinten Nationen in der kommenden Woche in

Brüssel hinweisen. Dann wird das sogenannte Intergovernmental Panel

on Climate Change (IPCC) darlegen, welche Folgen die Klimaerwärmung

heute und in Zukunft für die Ökosysteme der Erde hat, beziehungsweise

haben wird. Dies ist Inhalt von Teil 2 des neuen IPCC-Sachstandsberichts

(mehr…). Nach dem vertraulichen Schlussentwurf der 21-seitigen Zusammenfassung

halten die Uno-Experten das Aussterben von Arten in tropischen Wäldern

für “wahrscheinlich”. Es sei davon auszugehen, “dass eine Zunahme

der Temperatur und eine Abnahme des Bodenwassergehaltes zu einer Verdrängung

des tropischen Waldes durch Savanne im östlichen Amazonien führt”.

An einigen Stellen nennen

die IPCC-Sachverständigen auch Zahlen. Demnach könnte rund ein

Fünftel des tropischen Regenwaldes am Amazonas “starke Veränderungen”

erleben, wenn die globale Mitteltemperatur um weitere zwei Grad Celsius

im Vergleich zu 1990 steige. Das könnte in der zweiten Jahrhunderthälfte

geschehen, selbst im Falle einer weiteren Reduktion der Treibhausgasemissionen.

Der IPCC sieht “rund 45 Prozent” der amazonischen Baumarten in ihrer Existenz

gefährdet, sollte das Thermometer gar um vier Grad steigen. Damit

wäre nach heutigem Ermessen aber wohl nur zu rechnen, wenn die Welt

praktisch keine weiteren Klimaschutzmaßnahmen ergreift.

Williams und Jackson möchten

ihre neue Studie auf jeden Fall als Plädoyer dafür verstanden

wissen, den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen energisch

zu drosseln. Es sei zwar ganz richtig, dass sich unsere Gesellschaft inzwischen

Gedanken über Anpassungsmaßnahmen mache, findet Geograf Williams.

Doch der bedrohten Flora und Fauna sei damit nicht geholfen, ihr nutze

höchstens ein rascher Stopp der Erwärmung: “Wir können nun

einmal Arten nicht transplantieren.” Auch Co-Autor Jackson empfiehlt, “lieber

innerhalb der Grenzen unserer ökologischen Erfahrung zu bleiben”.

Andernfalls werde uns die Zeit davonlaufen, “um die Biodiversität

und die Dienste, die sie uns leistet”, zu bewahren.

 

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