RootZ.Öko – Artikel aus der Umwelt

 
Süddeutsche

online 13.09.07

Umweltverschmutzung –

Tödliche Ortschaften

Das Blacksmith-Institut hat

eine Liste der zehn am stärksten verschmutzten Orte weltweit erstellt.

Insgesamt leiden mehr als zwölf Millionen Menschen unter der Umweltbelastung

– besonders betroffen sind Kinder.

Riesige Industriegebiete,

monströse Bergwerks- und Schmelzanlagen, hochgiftige Mülldeponien

aus der Produktion von Chemiewaffen während des Kalten Krieges: Wer

in der Nähe einer solchen Anlage wohnt und arbeitet, trägt oft

schwere gesundheitliche Schäden davon. Das amerikanische Blacksmith-Institut,

eine unabhängige Umweltorganisation, hat in Kooperation mit Green

Cross Schweiz am Mittwoch eine Liste der zehn weltweit am stärksten

verschmutzten Orte vorgelegt.

Sieben Länder sind vertreten,

allen voran China, Indien und Russland. An diesen Orten, so Blacksmith,

wirkt sich die Umweltverschmutzung am stärksten auf die Gesundheit

aus, besonders bei Kindern. Insgesamt sind mehr als zwölf Millionen

Menschen betroffen. Ein Überblick.

China

Der kleine Ort Tianying in

der chinesischen Provinz Anhui mag gerade sein internationales Debüt

als berüchtigtes Dreckloch erleben. Innerhalb Chinas ist er hingegen

schon lange für seine Umweltprobleme bekannt. Die Bleihütten

in Tianying und den nahegelegenen Orten Jieshou und Taihe stoßen

etwa die Hälfte der gesamten chinesischen Bleiproduktion aus. Leider

sind sie auch für eine der schlimmsten lokalen Umweltzerstörungen

verantwortlich, die Chinas rasantes Wirtschaftswachstum begleiten.

Die Flüsse in der Umgebung

von Tianying sind so schwer mit Blei verseucht, dass die chinesische Umweltbehörde

schon 2003 einzelne Hütten vorübergehend stillgelegt hat. In

zwanzig Orten entlang eines einzigen Flusses wurden dramatische Anstiege

der Krebsraten gemessen.

Linfen in der Provinz Shanxi

liegt mitten im “Kohlenpott‘‘ der Volksrepublik. Selbst im Sommer ist die

Sonne vor lauter Kohlenstaub und Schwefeldioxid nur durch einen Schleier

zu sehen. Kinder husten nach dem Schulsport pechschwarzen Schleim aus.

Ihre Kehlen sind permanent trocken und gereizt. Immer wieder rangiert Linfen

unter den Städten Chinas mit der landesweit schlimmsten Luftverschmutzung.

Russland

Wer in Dzerzhinsk wohnt,

hat weniger vom Leben. Nach Angaben von Blacksmith werden Frauen im Schnitt

47 Jahre alt, Männer sogar nur 42. Bis zum Ende des Kalten Krieges

war die russische Stadt an der Oka das Zentrum bei der Herstellung von

chemischen Waffen. Etwa 190 verschiedene Chemikalien seien in das Grundwasser

geleitet und unter anderem mit hohen Mengen Dioxin verseucht worden. Noch

immer sei das Trinkwasser extrem belastet und bedrohe die Gesundheit von

etwa 300.000 Einwohnern.

Die Stadt Dzerzhinsk räumt

auf ihrer Internet-Seite ein, dass sie einer der schmutzigsten Orte der

Sowjetunion gewesen sei, allerdings in den vergangenen zehn Jahren dieser

Liste nicht mehr angehört habe. In Zusammenarbeit mit der Lokalregierung

hat Blacksmith vor drei Jahren damit begonnen, die Qualität des Grundwassers

zu verbessern.

In der nordsibirischen Stadt

Norilsk ist vor allem die Luft stark verschmutzt. Im Winter ist der Schnee

fast schwarz, der Schwefelgeruch dominant – Ergebnis von jährlich

fast vier Millionen Tonnen an Kadmium, Kupfer, Nickel, Zink und anderen

Metallen, die von der Schwerindustrie herausgeblasen werden. Vor allem

die Gesundheit der Kinder ist gefährdet, die Zahl von Frühgeburten

übersteigt die anderer Städte der Region. Als Hauptverursacher

der Luftverschmutzung gilt das Unternehmen Norilsk Nickel, der größte

Nickelproduzent der Welt.

Aserbaidschan

Auch Sumgayit führt

einen Kampf gegen die Altlasten aus der Sowjetzeit. Die Stadt, die heute

im unabhängigen Kaukasusstaat Aserbaidschan liegt, wurde 1950 gegründet

und war Sitz der größten Produzenten von industriellen und landwirtschaftlichen

Chemikalien. Jährlich wurden ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen

70.000 bis 120.000 Tonnen toxischer Abfälle ausgestoßen, auch

Teile des Kaspischen Meeres wurden belastet.

Nach Angaben von Blacksmith

sind die Einwohner von Sumgayit einem deutlich erhöhten Krebsrisiko

ausgesetzt sind. Mit Unterstützung der Weltbank und der Vereinten

Nationen verfolgt die Stadt nun ein Programm, mit dem die Gefahren der

Vergiftung eingedämmt werden sollen.

Indien

Der Industriellenverband

von Vapi, einer Provinzstadt im Bundesstaat Gujarat, 200 Kilometer nördlich

von Bombay, führt auf seiner Homepage 1486 Firmen auf. Eine beachtliche

Unternehmensdichte bei knapp 80.000 Einwohnern. Umweltorganisationen nennen

es “Überindustrialisierung‘‘. Vapi hat eine der größten

Industriekonzentrationen Asiens. Die Firmen operieren fast ausschließlich

im Chemiesektor.

Von den 1486 Betrieben haben

sich allein 308 auf die Herstellung von hochtoxischen Färbemitteln

spezialisiert. Davon fließt auch eine ganze Menge in den Fluss Daman

Ganga, der nur sieben Kilometer weiter westlich in das Arabische Meer mündet.

Der Industriellenverband von Vapi rühmt sich jedoch der Erstellung

einer Abwasserreinigungsanlage, durch die alle Ausflüsse der Fabriken

gefiltert würden.

Ähnlich stolz auf seine

Verdienste um den Umweltschutz und die Sicherheit ihrer Mitarbeiter ist

Tata Steel, der indische Stahlgigant, der im südostindischen Sukinda

im Bundesstaat Orissa Chromiterz abbaut. Die offene Mine von Sukinda ist

eine der größten weltweit. 97 Prozent des indischen Chromerzes

stammen aus den zwölf örtlichen Bergwerken. Wegen mangelnder

Kontrolle und durch die häufigen Überschwemmungen gerät

giftiges und krebsförderndes Chrom in die Trinkwasserkanäle.

Tata Steel rühmt sich auf seiner Webseite, dass man den Minenarbeitern

und ihren Familien Unterkünfte, Schulen und Freizeitvergnügungen

umsonst anbiete.

Sambia

Die sambische Stadt Kabwe

hätte eigentlich das Zeug zur Touristenattraktion. Sie liegt 150 Kilometer

nördlich der Hauptstadt Lusaka auf 1172 Meter Höhe und hat ein

angenehmes Klima. Aber niemand will nach Kabwe. Die Stadt mit ihren 250.000

Einwohnern ist bleivergiftet. Kabwe liegt auf einer Erzader. Sie wurde

1902 entdeckt. Danach sind die Zechen aus dem Boden geschossen. Bis 1994

wurden Blei, Zink, Kadmium und Mangan abgebaut. Auflagen für den Umweltschutz

gab es nicht.

Die Zechen sind mittlerweile

geschlossen, das Blei ist geblieben. Darunter leiden vor allem die Kinder.

Trotz Aufklärungskampagnen lokaler Umweltschützer lassen Eltern

ihre Jüngsten immer noch im verseuchten Bach und mit der vergifteten

Erde spielen. Im Blut vieler Kinder wurden mehr als 200 Mikrogramm Blei

pro Deziliter festgestellt – in den USA gelten schon zehn Mikrogramm als

gesundheitsgefährdend. Die Weltbank stellt nun 40 Millionen Dollar

für Aufräumarbeiten bereit.

Ukraine

Im Werk Tschernobyl explodierte

am 26. April 1986 während eines missglückten Tests der Reaktorblock

IV und schickte eine radioaktive Wolke Richtung Norden und Westen, die

nach und nach auf der ganzen Welt gemessen wurde. Die stärkste Verstrahlung

erfasste Teile der Ukraine, Weißrusslands und Russlands. Eine 30-Kilometer-Zone

rund um den Komplex ist bis heute Sperrgebiet. Weit darüber hinaus

sind die Böden noch großflächig mit Cäsium137 belastet.

Nach dem Unfall wurden 400.000 Menschen umgesiedelt.

Manifest ist die Zunahme

von Schilddrüsenkrebs vor allem bei Kindern, die Abschätzung

der Todeszahlen ist schwierig. Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation

kam im Jahr 2006 zu dem Ergebnis, dass wegen der Katastrophe mit ungefähr

4000 vorzeitigen Todesfällen zu rechnen ist. Viele Ärzte in Weißrussland

und der Ukraine halten das für extrem untertrieben. Die in sieben

Monaten um den geborstenen Block herum aufgebaute Betonhülle birgt

noch den größten Teil des radioaktiven Inventars und bietet

keinen dauerhaften Schutz. Deshalb wird ein zweiter “Sarkophag” errichtet

und auf Schienen über das Bauwerk geschoben.

Peru

Der giftigste Ort Lateinamerikas

heißt La Oroya und liegt auf 3750 Metern Höhe in den Anden Perus,

200 Kilometer entfernt von Lima. Die Stadt ist das wichtigste Bergbauzentrum

des Landes, seit 1922 werden dort Kupfer und Blei abgebaut, seit den fünfziger

Jahren Zink und Silber. Der Konzern Doe Run mit Stammsitz in Missouri holt

gewaltige Mengen der wertvollen Metalle aus den Bergen und macht dank hoher

Rohstoffpreise riesige Gewinne, doch die gesundheitlichen Folgen für

die 35.000 Einwohner sind verheerend. Luft und Wasser werden durch schwefelhaltige

Abgase, Blei, Arsen und Kadmium belastet.

Laut Studien leiden 99 Prozent

der Kinder unter erhöhten Bleiwerten im Blut, viele Neugeborene sterben,

Asthma sowie Nieren- und Nervenleiden sind häufig. Die Interamerikanische

Kommission für Menschenrechte hat Peru aufgefordert, gegen die Verschmutzung

vorzugehen. Doe Run verspricht es – viel zu spät.

 

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