RootZ Thema – Summer Jam 2003



 

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Thema
 

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Summer
Jam – Jah’s Geschöpfe sorgen in Köln für rauchende Köpfe 

Die Party begann recht emotional,
als Andrew Murphy, der traditionelle Zeremonienmeister des Summer Jam Festivals,
das Mikrophon auf der Hauptbühne ergriff und sich an das versammelte
Publikum richtete. 


 



MC Andrew Murphy
Es war der Auftakt
zum dienstältesten Festival dieses Landes, das traditionell für
drei Tage am ersten Juliwochende stattfindet. 18 Jahre Summer Jam – 18
Jahre erstklassige Musik aus vielen Winkeln dieses Planeten – 18 Jahre
Love and Peace, Rauchen statt Saufen, Exotik statt biergeschwängerter
Aggressionen anderer Großveranstaltungen. 

Derart kennen, lieben und
schätzen unzählige Leute aus ganz Europa dieses alljährliche
Ereignis, übrigens das größte seiner Art in der Alten Welt.
Auch dieses Jahr waren keine Tickets mehr zu bekommen und es kamen insgesamt
um die 30000 Besucher auf die Festivalinsel im Fühlinger See vor den
Toren Kölns. 

Andrew Murphy fühlt
sich dort jedes Mal wie zu Hause, zwischen hoppelnden Kaninchen, der Regattabahn
und den trüben Wassern des Naherholungsgebietes. Immerhin hat es auf
jenem Gelände schon acht Summer Jams gegeben, nachdem die pittoreske
Loreley zu eng wurde und sich das Militärgelände in Wildenrath
am Niederrhein als nicht sehr geeignet entpuppte. 


 

Im Vorfeld war
es längere Zeit unklar, ob das Summer Jam in diesem Jahr überhaupt
stattfinden würde und wenn, dann wo. Denn die Veranstaltung hat den
realitätsverzerrenden Ruf, ein Kifferfestival zu sein, wo exzessiv
Drogen konsumiert, Frauen vergewaltigt und Sachen geklaut würden.
Der Kölner Polizeichef Winrich Granitzka und der Leiter der Ordnungsbehörde,
Herr Kilp bezeichneten die Veranstaltung in ihrer Entscheidungsvorlage
für die Stadtväter als „extrem kriminogen“ und gaben die Empfehlung
heraus, für 2003 keine Durchführungsgenehmigung zu erteilen. 


Kiffer, Vergewaltiger
und Diebe

Bumm!!! Glücklicherweise
hatte der Entscheidungsträger Fritz Schramma, seines Zeichens Kölner
OB, die kulturelle Vielfalt der Stadt vor Augen (und in den Ohren) und
gab trotz Widerstandes im eigenen Lager grünes Licht. Das Festival
war einmal mehr gerettet. 

Genau aus jener Quelle wurden
die Emotionen des Summer Jam Moderators gespeist. „Kifferfestival“! 

Langjährige
Festivalbesucher wissen, wie tief die symbiotische Beziehung zwischen dem
aus Barbados stammenden Mann mit den meterlangen, über die Jahre angegrauten
Dreadlocks und dem Summer Jam ist. Ein Festival ohne Andrew kann man sich
kaum vorstellen, er ist die Seele und der immer wieder erscheinende Fluchtpunkt
in einem Meer aus rot-gold-grünen Menschen. Er findet die richtigen
Worte, er geht über die rituellen Ankündigungen der Musiker hinaus,
er trifft als der Reggae Ambassador des Summer Jam die Soul seiner Zuhörer
und erzeugt positive Vibes. So auch dieses Jahr wieder. Wenn Andrew Murphy
das Mikro in die Hand nahm und während der Umbaupausen auf der Bühne
etwas sagte, hörte ihm das übrigens diesjährig stark verjüngte
Publikum zu. 

„Ich möchte den Verantwortlichen
der Stadt Köln danken, daß wir wieder auf dieser Insel feiern
können. Ich hoffe, daß wir drei schöne Tage mit Reggae
Musik haben werden“. Andrew appellierte an das Publikum, die Natur zu respektieren
und nicht einen Müllhaufen zu hinterlassen. 


 

Er unterstrich,
daß das Festival eine Veranstaltung ist, die Menschen aus allen Winkeln
dieses Planeten zusammenzieht und unter dem Banner von Jah Rastafari zu
einer Kultur in Frieden und Harmonie vereint: „Dies ist kein Kifferfestival,
wie es in den Medien dargestellt wird. Wir haben Kultur, die Kultur der
Rastafarians, wir sind spirituelle Menschen, und feiern ein Festival, wo
Colour or Class nichts bedeuten. Wir respektieren die Umwelt, wir lieben
den Frieden, die Spiritualität und ein Leben in Harmonie.“ Er bat
alle Elemente, die das Festival in Verruf brächten, alle Diebe, alle
Vergewaltiger, alle Drogies, zu Hause zu bleiben, damit das Festival das
bleibt, was es bisher war: drei Tage Musik, Vibes und Zufriedenheit. „Ich
hoffe, daß ich noch viele Jahre auf der Bühne stehen kann, bis
ins hohe Alter, wenn ich, gestützt auf einen Stock, verkünden
kann: It’s Summer Jam Time again.“

Bei seinen eindringlichen
und mit kräftigem Applaus belohnten Worten bleibt zu hoffen, daß
nicht nur das Summer Jam aus seiner Minderjährigkeit erwachsen ist,
sondern daß das immer jünger werdende Publikum des Festivals
sich seiner Verantwortung für eine weiter Durchführung derartiger
Veranstaltungen bewußt wird. 


 



Junior Kelly



Prezident Brown



Anthony B



Gentleman
Ob Althippies,
afrikastämmige Menschen jeder Nuance, Redskins, oder Baggy- Pants-
Dancehall- Massive, alle haben sie das Programm der drei Tage genossen.
Der Veranstalter Contour Music hatte sich wiederum stark bemüht, ein
abwechslungsreiches Line-Up auf den zwei Bühnen und den zwei Zelten
zu bieten. Große jamaikanische Namen, wie Prezident Brown, Junior
Kelly, Morgan Heritage, Tony Rebel, vertraten die New School des Reggae,
jedoch konnte keiner dem Bobo Dread Anthony B die Chalice reichen, denn
der Spitzenperformer hat sich eine Prime Position in den Herzen des Publikums
ersungen. Für die Fans der Bob-Marley-Periode, des Golden Age of Reggae,
gab es auch ein paar fette Namen Soulvibes von Beres Hammond, Harder-Than-The-Rest-Pop
von Jimmy Cliff, eine Special Showcase von Max Romeo und Mikey Dread und
Purest Vibes von den spirituellen und immer wieder überzeugenden Israel
Vibration, die sich ihre von Polio stammenden Handicaps jedesmal erneut
aus den Bodies singen. Am Sonntag gab es auf der grünen Bühne
dann Geschichtsunterricht in Sachen Offbeat, als es hieß, zu hochgeschwinden
Skabeats und fetten Bläsersets zu zappeln. Mit Toots And The Maytals,
Dennis Alcapone, Alton Ellis und Desmond Dekker standen Protagonisten aus
den Sechziger Jahren jamaikanischer Musik auf der Bühne. 

Eine guter Musikmix für
ein bunt gemischtes Publikum kam auch von der „Weißbrotfraktion“,
von lokalen Bands, die von Popreggae – Cashma Hoody, über New Consciousness
– Headcornerstone und Dub – Dubblestandart bis hin zu Ska – Intensified,
alle Nunacen der jamaikanischen Musik präsentiert haben. Und natürlich
durften die Stars der deutschen Szene nicht fehlen: Seeed aus Berlin heizten
mit ihrer fußballmannschaftgroßen Crew und dem neuen Album
„Musical Monks“ kräftig ein, die Show vom Kerpener Mädchenschwarm
Patrice ist eklektisch und sein aktuelles Album heißt nicht grundlos
„How Do You Call It?“ und als very special Guest machte als Ersatz für
den abgesagten Bunny Wailer noch der Lokalmatador Gentleman auf seiner
„Journey To Jah“ Station am Fühlinger See. 

Für ein paar Leute waren
18 deutsche /europäische Acts zu viel „UB40-Faktor“ und mancher fragte
sich, warum nicht lieber ein paar mehr kleineren jamaikanischen Künstlern
eine Chance zur Präsentation vor einem neuen Publikum gegeben wurde.



 

In einer Gesamtbetrachtung
des Programms steht allerdings fest, daß es viele Leckerbissen gegeben
hat. Hierbei sind an erster Stelle die Stakkatos aus dem Land der aufgehenden
Sonne, geliefert vom Tokyo Ska Paradise Orchestra, der funky Beat vom Veteranen
Toots, Afrikas große Reggaehoffnung Tiken Jah Fakoly aus der Elfenbeinküste
und die „Mafioso-Band“ Roy Paci mit Aretuska aus Sizilien zu nennen. 


 

Tokyo Ska Paradise
Orchestra > 



 

So waren dann
die Massen am Sonntagabend nach drei Tagen Musik an vier Orten auch zufrieden
und konnten auf ein Festival zurückblicken, bei dem das Wetter allerdings
hätte besser sein können. Und auch das Massenangebot an Polizisten,
differenziert gekleidet vom martialischen Kampfanzug bis hin zur „ermittlungsfördernden“
Zivilkleidung, hat den Festivalvibes nicht gut getan. Es gab 490 Anzeigen
wegen Drogenbesitzes, das ist das Vierfache des Vorjahres und ist zurückzuführen,
auf den von Polizeisprecher Beus formulierten „erhöhten Ermittlungsdruck“.
Schon beim Einlaß standen Securities und Staatsgewalt gepaart beieinander
und arbeiteten bei der Durchsuchung Hand in Hand. Des Staates Stimme, Herr
Beus formulierte es eindeutig: „No Tolerance, auch kleine Mengen führen
zur Verhaftung“. Und auch der Stuttgarter Veranstalter Contour hatte sich
verpflichtet, etwas zur Thematik Drogen zu tun. Sie stellten der Drogenhilfe
den Platz für einen Doppeldeckerbus zur Verfügung, wo ein interaktiver
Kiffertest zur Verfügung stand und ein Kölner Hip Hopper 
mit Interessenten Texte zur Drogenproblematik lyrifizierte. 

Einem besonders an der Festivalrealisierung
Beteiligten, OB Fritz Schramma hat es gefallen. Bei seinem Besuch auf der
Insel im Fühlinger See betonte er, daß er von der friedlichen
Atmosphäre des Summer Jam beeindruckt sei. Und der Gemeinde hat die
Veranstaltung über diverse Wege einige harte Euros in die notorisch
klammen Kassen gespült. Am unschönsten dabei war, daß die
Auslösung für jedes abgeschleppte Auto 150 Okken gekostet hat. 

Jedenfalls kann man hoffen,
daß der Mix aus Beeindruckung und Einnahmen weitere Summer Jams möglich
machen wird. Denn es dauert noch ein paar Jährchen, bis Andrew Murphy
wirklich einen Stock braucht. Das Original ist in der Musician August 2003
zu finden.

Übersicht
Festivalberichterstattung


Vorberichte
zum Summer Jam 2003


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