RootZ Thema – 25 Jahre Greensleeves Records – Eine Erfolgstory im britischen Underground


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Thema
 

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25
Jahre Greensleeves

Eine Erfolgstory im britischen
Underground

Die RootZ Retrospektive
zum Jubiläum

 

 

“Wer mit Reggae versucht, schnell reich
zu werden, wird scheitern,“ hat Rob Scheermann von Fotofon, dem ältesten
deutschen Reggaevertrieb mal gesagt. Damit beschreibt er die Gratwanderung,
die jeder, der mit Reggae versucht, Geld zu verdienen, beschreiten muß.
Diese Musik ist Underground,
antikommerziell, unberechenbar und begehrt gegen die Strukturen, die man
zum Geldverdienen  benötigt, auf. Viele haben sich daran versucht
und sind auf der Strecke geblieben, ein paar haben es bis heute geschafft.
Greensleeves Records gehört zu den Letzteren und ist über seine
25-jährige Geschichte bis heute erstaunlich frisch und dynamisch geblieben. 

Mitte der Siebziger, London.
Es ist die Blütezeit des Punk. Der Protest gegen das verknöcherte
System wird auf zwei Akkorden durch alkoholisierte Stimmritzen einem bunten,
mit Rasierklingen, Sicherheitsnadeln und exotischen, bunten Haaren geschmückten,
nicht weniger alkoholisierten Publikum entgegengeschrien. 

Die zwei jungen
Punks Chris Cracknell und Chris Sedgewick kommen auf Punkkonzerten in Berührung
mit Exoten aus einer ganz anderen Ecke dieser Welt: Reggae erobert London
und hat in den Punks eine Bewegung von Leuten gefunden, die sich in Babylon
mit ihnen verbrüdern. 

Sie schützen Rastas
vor Übergriffen von Bullen oder den notorischen Faschisten von der
National Front. Musiker beider Lager machen gemeinsame Jamsessions und
Reggaeproduzenten, wie Lee Perry arbeiten mit Punkbands zusammen.

Die Musik stimmt für
die beiden Freunde, egal ob Punk oder Reggae, sie ist rough, raw and ready.
Bei Chris und Chris reift die Idee, einen Plattenladen zu machen, um den
britischen Markt mit Tunes straight from Yard besser zu versorgen, denn
bisher sind die Songs der Reggaemusiker nur für Kenner der westindischen
Szene erreichbar. Die Idee mündet 1975 in der Gründung eines
Geschäftes in West Ealing, einem Stadtteil Londons. 

 

Schon bald wird
der Shop zu einem wichtigen Anlaufpunkt für die Liebhaber jamaikanischer
Musik. Immer häufiger lassen Kunden Vorauszahlungen für die nächsten
Importe von Singlecollections aus Jamaika im Laden, denn auf die Selection
von Greensleeves ist Verlaß. Was auf der einen Seite den Fortbestand
des Record Shops unterstützt, entwickelt sich mit der Zeit zu einem
Problem. Denn häufig können Nachbestellungen von gewisssen Tunes
nicht erfüllt werden, weil auf Jamaika kein Vinyl nachgepresst wird
und sich die Recherche bzgl. Musiker und Tunes durch unbedruckte Singlelables
eh als problematisch herausstellt. 

Aus dieser Erfahrung heraus
reift die Idee, selbst ein Label für die Lizensierung von Material
zu gründen. Die zwei Partner versprechen sich davon ein besseres Marketing
und eine problemlosere Versorgung des Marktes mit Tunes. 1976 wird konsequenterweise
Greensleeves Records gegründet. 

Als die erste Veröffentlichung,
Dr. Alimantado’s „Best Dressed Chicken In Town“ in einer Radiosendung Johnny
Rottens Prädikat als sein Lieblingsalbum verpasst bekommt, verkaufen
Greensleeves 50.000 Kopien der gleichnamigen Single und haben ihren ersten
kommerziellen Erfolg. 

 

Durch die Zusammenarbeit
mit den wichtigen jamaikanischen Producern, Henry ’Junjo’ Lawes, Scientist
und Jammy’s können Greensleeves in der folgenden Zeit Tune um Tune
der fettesten Qualität auf dem Markt bringen. Kombiniert mit dem distinktiven
Artwork des bis heute treu gebliebenen Graphikers Tony McDermott und den
Marketingmöglichkeiten eines in London ansässigen Labels wächst
ein starkes Fundament heran und schon 1980 ist das Label wichtiger als
der ursprüngliche Record Shop. 

 

Bei der Musikauswahl
geht Chris Cracknell als A & R der Firma keine Kompromisse ein. Es
findet keine Anpassung an den „weißen“ Markt statt, Greensleeves
sieht seine Aufgabe im Verkauf an die Reggae Massive. Mitte der Achtziger
Jahre hat jeder namhafte jamaikanische Reggaekünstler mindestens eine
Kooperation mit dem Label, der britische Reggae wird mit Capital Letters,
Pato Banton, Deborahe Glasgow, Pato Banton usw. genauso integriert, wie
Dub mit Scientist, King Tubby und Augustus Pablo.

1986 bringt mit dem Sleng
Teng Riddim den ersten digital produzierten Sound aus Jamaika. Der Tune
„Under Mi Sleng Teng“ von Wayne Smith wird ein Massive Hit und der digitale
Sound setzt mit den  Tunes aus Gussie Clarke’s Music Works Studio
die begonnene Erfolgsstory fort. Große Greensleeves Alben von Gregory
Isaacs, Dennis Brown, den Mighty Diamonds oder J.C. Lodge sind die Produkte
dieser Zeit. 

Ein weiterer Aspekt von Greensleeves,
das Publishing, entwickelt sich zu dieser Zeit recht stark und Ende der
Achtziger Jahre hat die Firma weltweit die Veröffentlichungsrechte
für über 9.000 Songs. Der Vertrieb von anderen Labels, wie Shaka
Music, RAS Records oder Heartbeat wird in UK vorangetrieben und mit dem
Signen der angesagten vocal Artists – Yellowman, Bounty Killer, Ninjaman
und Konsorten – auf Jamaika leistet Greensleeves wichtige Entwicklungshilfe
in Sachen Reggae und Dancehall in Europa. 

1993 gibt es dann endlich
mal eine fette Belohnung für die erbrachte Aufbauarbeit: das Shaggy-Remake
vom alten Folkes Brothers Hit „Oh Carolina“ wird im März in Britannien
zum Nr. 1 Hit. Beenie Man’s „Who Am I“ und das Album „Oh No“ von Red Rat
sind später ähnliche Erfolge und läuten eine neue Ära
ein: Indie Companies, wie Greensleeves als Wegbereiter für die Abschöpfung
von Künstlern durch die Major Labels. Dieser Trend hält bis heute
an und große Plattenfirmen, bspw. Virgin profitieren von den Wegbereitern
in der Szene. 

 

Das ist aber kein Grund
für Cracknell als A & R seine Strategie zu ändern, besonders
weil der große Erfolg in den kommerziellen Charts ohnehin nicht beabsichtigt
war. Er steht nun mal nicht auf Crossover Remixe und radiokompatible Versionen.
Und auch dass das Label Künstler, wie Sizzla, der gerade drei Alben
auf drei Labels (Greensleeves, VP Records und Jetstar) veröffentlicht
hat, teilen muß, stört ihn wenig. Er weiß, dass er für
Greensleeves „simply the best artists“ signt und im Markt der original
Reggaeszene zu Hause ist. 

Um damit erfolgreich zu sein,
muß man seine Nase immer im Wind haben und das Geschick besitzen,
Trends zu erkennen und fast prophetisch zu wissen, welcher Artist aus der
Menge jamaikanischer Vokalisten einen Smasher einsingen wird. 

Daß dafür ausreichend
Sensibilität vorhanden ist, zeigt das Mittneunziger Committment hin
zur Renaissance von Conscious Music. Neue Stimmen, wie Anthony B, Sizzla,
Bushman, Everton Blender oder Morgan Heritage werden gesignt und ihre Alben
kommen auf den europäischen Markt. 

Und den Randzonen des Genres
wird mit Veröffentlichungen aus den am Computer entstandenen Richtungen
Jungle und Neo Dub genauso die gehörige Aufmerksamkeit gegeben. Wegweisend
sind hier die „Ragga Jungle“ Compilations des Labels, wie man überhaupt
die diversen Greensleeves Compilations auf keinen Fall zu erwähnen
vergessen darf. Unter den Titeln „Ragga Ragga Ragga“ oder „Reggae Sampler“
bekommt man zu den verschiedenen Strömungen im Sound immer eine gute
Auswahl an vibes angeboten. 

 

Andere Serien, wie „Hardcore
Ragga“ oder „Conscious Ragga“ befinden sich im Aufbau:  Mit einer
Samplersammlung haben die Briten allerdings mal wieder den Vogel abgeschossen:
die One Riddim Serien, die 2000 mit dem Bellyas aus dem Hause Jammy’s begann
und jetzt mit Vol. 17 den Herbalist Riddim erreicht hat. 

Jeder Riddim wird als Doppelvinyl
mit 20 Versions angeboten oder kommt als Twinriddim mit je 10 Versions.
Um sich bei der Masse an veröffentlichtem Material keine Flops einzuhandeln,
hat Chris Cracknell sich eine feste Vorgehensweise angewöhnt. 

 

Er hört sich schon
im Vorfeld die auf Jamaika produzierten Ruff Mixes an, wählt die Tunes,
die dann abgemischt werden und per DAT nach London kommen. Dort werden
sie von Kevin Metcalfe gemastert und können schon drei Wochen nach
Voicing im Studio auf Scheibe gepresst in den Läden angeboten werden. 

Greensleeves Records feiern
ihren Geburtstag mit 25 Wiederveröffentlichungen aus ihrem reichen
Backkatalog. Allesamt wurden die Alben digital remastert und sind zum Special
Price erhältlich. Da kann man die gesamte Labelgeschichte quasi nachhören.
Es finden sich das erste Alimantadoalbum, der Jamaican Dancehall Smasher
„Live At The Aces“, Tubby’s „Dangerous Dub“ mit den Roots Radics, das Nyahalbum
„Rastafari“ von Ras Michael oder der Klassiker „Lord Watch Over Our Shoulders“
vom late great Garnett Silk. 




Dazu kommen Veröffentlichungen
von den angesagtesten Dancehall- und Rootsartists Jamaikas: Degree – „Yeah
Man“, Sizzla – „RastafarI Teach I Everything“, Bushman – „Total Commitment“
oder Elephant Man – „Coming 4 You“. Neue Alben sind für den Herbst
angekündigt. Und es beginnt jetzt turnusmäßig wieder die
heiße Zeit für die Sound Systems, die traditionell von Herbst
bis Frühjahr verstärkt Parties veranstalten und neues Futter
an Seven Inches für ihre Plattenteller benötigen. Auch da wird
die Londoner Firma mit durchschnittlich 50 Singleveröffentlichungen
jährlich wieder einiger brandnew crisp bisquits unters Reggaevolk
streuen. 

Mit dem Motto „25 Years –
still smoking“ wird gefeiert und die Leute von Greensleeves entwickeln
ungebrochen einen geradezu erstaunlichen Instinkt für die richtigen
Tunes im grenzenlosen Pool jamaikanischer Produktionen. RootZ bleibt nix
weiter zu sagen, als „Happy Earthday“ und noch viel Erfolg für die
nächsten 25 Jahre bis hin zum Goldenen Ganjablatt. 

Interview
Chris Chracknell

Greensleeves Releases

Greensleeves Homepage

Gästebuch

 


Copyright: Doc Igüz
2001
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